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Glaubrecht Alfred Russel Wallace Matthias Glaubrecht
Am Ende des Ar­chi­pels.
Alfred Russel Wallace.
Galiani Berlin 2013, 442 Sei­ten
ISBN 978-3-86971-070-9

Alfred Russel Wallace (1823 – 1913) un­ter­nahm zwei gro­ße Rei­sen, auf denen er eine Viel­zahl neu­er Arten ent­deck­te und sich von einem reinen Na­tu­ra­lien­samm­ler zu einem an­er­kann­ten Wis­sen­schaft­ler ent­wi­ckel­te.

Die erste Reise (1848 – 1852) führ­te ihn ins Ama­zo­nas­ge­biet, wo er sich dem Studium von Flo­ra und Fauna wid­me­te, in erster Linie aber auf der Jagd nach möglichst exo­ti­schen und unbekannten Exem­pla­ren sel­te­ner oder un­be­kann­ter Arten war, um sie ge­winn­brin­gend in Eng­land ver­kau­fen zu kön­nen. Er fi­nan­zier­te damit seine Rei­se und er­hoff­te sich An­er­ken­nung in den wis­sen­schaft­li­chen Krei­sen, die Bedeutung im da­ma­li­gen Eng­land hat­ten.

Tragischerweise brach auf der Rückreise ein Feu­er im Fracht­raum des Schiffes aus, tau­sen­de sei­ner präparierten und le­ben­den Tiere ver­brann­ten, Be­sat­zung und Pas­sa­gie­re konn­ten sich mit Mühe ret­ten. Hätte er nicht bereits vor­her mehr­fach Kis­ten mit prä­pa­rier­ten Tieren an seinen Agen­ten in Eng­land ge­schickt, die Reise wäre eine noch grö­ße­re fi­nan­ziel­le Ka­ta­stro­phe ge­wor­den, ab­ge­se­hen von dem wis­sen­schaft­li­chen Verlust, der durch die Ver­nich­tung der Tiere und dem größ­ten Teil sei­ner Auf­zeich­nun­gen ent­stan­den war.

1854 brach Wallace zu seiner zwei­ten Reise auf, die ihn na­he­zu acht Jahre lang über die un­zäh­li­gen Inseln des Ma­lai­ischen Archipels führen wür­de. Dabei entwickelte er seine Theo­rie der Trans­for­ma­tion der Arten durch natürliche Aus­le­se und be­grün­de­te die Fach­rich­tung der Bio­geo­gra­phie. Wal­lace sammelte wäh­rend dieser Zeit über hun­dert­tau­send Exem­pla­re der ver­schie­dens­ten Arten, von de­nen einige nach ihm benannt wur­den, vor al­lem Insekten, Vö­gel, kleinere Säu­ge­tie­re (aber auch einige Orang-Utans) und Reptilien.

Charles DarwinCharles Dar­win hat­te sei­ne Theo­rie zur Ent­ste­hung der Ar­ten zu die­ser Zeit schon nie­der­ge­schrie­ben, fand sie aber noch nicht aus­ge­reift genug, um sie zu ver­öf­fent­lichen. Als Wallace ihm per Brief seine Er­kennt­nis­se über die Trans­for­ma­tion der Ar­ten mitteilte, be­riet er sich mit Freun­den, denn der Druck zur Ver­öf­fent­li­chung hat­te da­mit enorm zu­ge­nom­men. Nur wer als Ers­ter zu einem neuen Thema pu­bli­zier­te, konnte sich des wis­sen­schaft­li­chen Ruhms, der Ehre und des schnö­den Mam­mons sicher sein. An­de­rer­seits woll­te er Wallace auch nicht über­vor­tei­len, wes­we­gen entschieden wurde – al­ler­dings ohne das Ein­ver­ständ­nis von Wallace ein­zu­ho­len –, beide Ma­nu­skripte am selben Tag (1. Juli 1858) bei der Sit­zung der Lin­nean So­cie­ty vorzutragen.

Dieser Vorgang und alles, was damit zu­sam­men­hängt, ist bis heu­te Gegenstand kri­ti­scher Aus­ei­nan­der­set­zun­gen unter Wis­sen­schafts­his­to­ri­kern und be­an­sprucht eine ent­spre­chend um­fang­rei­che Dar­stel­lung in Glaubrechts Buch. Inwieweit hat Dar­win von Wallace' Argumenten und Bei­spie­len pro­fi­tiert, was hat er von ihm übernommen ohne ihn namentlich zu er­wäh­nen? Wie war die zeitliche Ab­fol­ge der Briefe, die Darwin von Wallace er­reich­ten, wann konn­te er was gewusst ha­ben? Zur Ver­an­schau­li­chung die­ser Debatte ist am Ende des Ban­des eine mehrseitige ta­bel­la­rische Auf­lis­tung der Chro­no­lo­gie ab­ge­druckt.

Wallace selbst hat damit nie ein Problem gehabt. Für ihn war Dar­win der geistige Vater der Evo­lu­tion, deren Motor die na­tür­li­che Selektion ist. Er pu­bli­zier­te mehrere Bücher zum The­ma (eines wid­me­te er Charles Darwin) und be­zeich­ne­te sich selbst bis an sein Le­bens­en­de als Darwinisten.

Vielseitig interessiert wandte er sich sozialen und phi­lo­so­phi­schen Fragen zu, seit Mitte der 60er Jah­re wurde er ein An­hän­ger des Spiritismus. Heu­te ist sein Name weit­ge­hend ver­ges­sen, die Evo­lu­tion wird ausschließlich mit dem Na­men und der Person Dar­wins ver­bun­den.

Neben der bereits erwähnten Chro­no­lo­gie gibt es ei­nen um­fang­rei­chen Anhang mit kom­men­tier­ten Le­se­em­pfeh­lun­gen, ei­nem Verzeichnis der Ori­gi­nal­li­te­ra­tur und drei Re­gis­ter zu Na­men, Orten so­wie Fau­na und Flora.

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2. Juli 2023

Matthias Glaubrecht: Seitensprünge der Evolution. Machos und andere Mysterien der Biologie

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