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Franz Tumler Der Mantel Franz Tumler
Der Mantel. Erzählung.
Nachwort von Wen­de­lin Schmidt-Dengler. Mit Zeich­nun­gen von Al­fred Kubin.
Suhrkamp Verlag 2008, 235 Sei­ten
ISBN 978-3-518-22438-0

Die Geschichte des Man­tels ist kurz er­zählt. Der ehe­ma­li­ge Zei­chen­leh­rer Huemer sieht ihn im Schau­fens­ter ei­ner Schnei­de­rei, er betritt den La­den ohne jede Kauf­ab­sicht, spricht mit einer Mitarbeiterin, die den Man­tel – es ist üb­ri­gens ein weißer Re­gen­man­tel – in den höch­sten Tö­nen lobt, und geht wieder sei­ner We­ge. Doch der Gedanke an den Mantel lässt ihn nicht los, und als er später wieder den La­den be­tritt, kauft er ihn auf gutes Zureden der Mit­ar­bei­te­rin. Er zieht ihn nicht an, sondern bewahrt ihn in der Verpackung auf, die er in der Schneiderei be­kom­men hat. Als ihm der Man­tel abhanden kommt, forscht er ihm mit großem Aufwand nach, ver­zich­tet aber auf ihn, als er ihn wieder bekommen könn­te.

Diese Geschichte er­zählt er im Kreis seiner Be­kann­ten in im­mer neuen Varianten und stößt dabei – ver­ständ­li­cher­wei­se – auf Miss­trau­en. Man fragt nach, deckt Wi­der­sprü­che auf, äu­ßert Zweifel an der Wirk­lich­keit des Ge­schil­der­ten. Das al­les wird uns nicht von Hue­mer selbst, sondern von einem Teil­neh­mer an dieser Runde be­rich­tet, der uns auch über man­ches Sei­ten­ge­sche­hen ins Bild setzt, das aber kei­nes­wegs zur Klärung des Sach­ver­halts bei­trägt.

Tumler (1912 – 1998) war überzeugter Na­tio­nal­so­zia­list, sei­ne li­te­ra­ri­schen Ver­öf­fent­li­chun­gen ent­spra­chen dem Geist der Zeit. Nach dem Krieg ge­lang es ihm, An­schluss an die li­te­ra­ri­sche Moderne zu fin­den, was sich auch in dieser 1959 zum ers­ten Mal ver­öf­fent­lich­ten Er­zäh­lung wi­der­spie­gelt. Die Un­zu­ver­läs­sig­keit er­zäh­le­ri­schen Schrei­bens ist das The­ma, das wechsel­volle Ver­hält­nis Hue­mers zu dem Man­tel, den er nicht braucht, ur­sprüng­lich noch nicht einmal woll­te, um ihm spä­ter um­so hart­näckiger nach­zu­spü­ren. Huemer selbst ist nicht in der Lage, seine Handlungen zu er­klä­ren, geschweige denn zu ver­ste­hen.

Das Nachwort von Wendelin Schmidt-Deng­ler be­schreibt die Be­mü­hun­gen und Ver­su­che, nach dem Brach­schlag des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zeit­ge­mä­ße Literatur zu schrei­ben. Tumlers Wand­lung vom durch die Land­schaf­ten seiner öster­rei­chi­schen Heimat ge­präg­ten Autor hin zu einem ex­pe­ri­men­tie­ren­den Groß­stadt­au­tor, der sich intensiv mit den Methoden des Nou­veau roman aus­ei­nan­der­setz­te. Der 2008 im Suhr­kamp Ver­lag (BS 1438) er­schie­ne­nen Aus­ga­be sind 24 bisher un­ver­öf­fent­lich­te Zeich­nun­gen Al­fred Kubins bei­ge­fügt, die al­ler­dings in einem anderen Zu­sam­men­hang ent­stan­den sind. Um­so er­staun­li­cher, wie gut sie zu dem Text passen.

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8. August 2023

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