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W. Somerset Maugham: Rückblick auf mein Leben W. Somerset Maugham
Rückblick auf mein Leben.
Ins Deutsche übertragen von Ralph Benatzky.
Rascher Verlag Zürich 1948, 304 Seiten

William Somerset Maugham (1874 – 1965) war zu Leb­zei­ten einer der auf­la­gen­stärks­ten Au­to­ren eng­li­scher Spra­che, ei­ni­ge seiner Bü­cher er­rei­chen auch heute noch be­acht­li­che Verkaufs­zahlen. "Rück­blick auf mein Leben" ist keine Auto­bio­gra­phie, auch wenn der Titel das sug­ge­riert (der eng­li­sche Originaltitel passt – wie so oft – besser: The Sum­ming Up). Maugham erteilt Auskunft über seine Ent­wick­lung als Au­tor, bio­gra­phi­sche Da­ten fin­den nur in­so­weit Er­wäh­nung als sie in ei­nem un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang da­mit ste­hen. So er­öffnete ihm seine drei­jäh­rige Tätigkeit als Arzt in ei­nem Armen­kran­ken­haus Zu­gang zu Leben und Lei­den der eng­lischen Ar­bei­ter­klas­se, wo­rü­ber zu schreiben zu die­ser Zeit noch als nahezu skan­da­lös emp­fun­den wur­de. "Sum­ming Up" ist die Poe­to­lo­gie ei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers, der sein Schrei­ben nicht als Aus­druck seiner selbst auffasst, son­dern der für ein breites Publikum schreibt, um damit einen mög­lichst großen Er­folg zu er­zie­len. Er studiert eng­li­sche und fran­zö­sische Au­to­ren, Mau­passant mit be­son­de­rer In­ten­si­tät, um von ihnen zu lernen und gibt uns damit einen in­te­res­san­ten Über­blick über die Li­te­ra­tu­ren des 19. Jahr­hun­derts in diesen Län­dern.

Er ist sich seiner Grenzen als Autor bewusst und ist be­strebt inner­halb dieser Gren­zen das Best­mögliche zu leis­ten. Für sein Schrei­ben hat er die Maxime ge­wählt: Klarheit, Ein­fachheit und Wohl­klang. Nach dem über­ra­schen­den Er­folg sei­nes ersten Romans ("Liza of Lambeth") er­reg­te er erst ei­ni­ge Jahre später wie­der die Auf­merk­samkeit der Öf­fent­lich­keit durch einige The­a­ter­stücke, die beim Pu­bli­kum auf größere Zu­stim­mung stießen als bei der Kri­tik. Nun strebt er einen ähn­lichen Erfolg als Roman­autor an, und es gelingt ihm.

Er schildert seine Karriere als Er­fül­lung eines Plans, den er sich schon früh an­ge­eig­net und struk­turiert haben will. Aller­dings räumt er auch ein, dass ihm immer wieder be­son­dere Si­tua­tionen den Weg er­leich­tert haben. Sei­ne Dar­stel­lung chan­giert zwi­schen strot­zen­dem Selbst­be­wusst­sein und Un­der­statement.

Maugham spricht darüber hi­naus zahlreiche Themen an, die ihn intensiv beschäftigt haben. So etwa seine Aus­einandersetzung mit philo­so­phischen Standpunkten, von denen die Haltung Spinozas sei­ner eigenen am ehesten ent­sprochen hat. Der frühe Tod seiner Eltern und die bei einem bigotten Onkel ver­brach­te Kind­heit ha­ben seine ableh­nende Ein­stel­lung zur Religion ge­prägt, sei­ne Sicht­weise ist illu­sions­los, auch der Gesell­schaft gegenüber und deren kul­tu­rel­len Eigen­schaf­ten: "Kul­tur ist eigentlich nur eine Mas­ke, die das wahre Ge­sicht verhüllt." Er ver­steht sich selbst als Agnostiker, das Leben ist ohne jeden Sinn, der Suizid ist eine Möglichkeit des selbst­be­stimmten Ster­bens und kei­nes­wegs ver­dam­mens­wert.

Eine Art Fazit seines Lebens könn­ten die fol­gen­den Über­le­gun­gen sein: "Denn wenn Kunst als ei­ner der großen Wer­te dieses Lebens ange­se­hen werden soll, muß sie dem Men­schen Er­ge­ben­heit, To­le­ranz, Weisheit und Grö­ße brin­gen. Der Wert der Kunst liegt nicht im Schö­nen, son­dern im Zeigen des richtigen Le­bens­weges." The Times They Are A-Changin' …

Der Übersetzer von The Sum­ming Up war 1948 üb­ri­gens der Komponist des "Weißen Rössl" und weiterer Ope­ret­ten, Ralph Benatzky. Der Text ist 1997 in neuer Über­setzung bei Dio­ge­nes als "Die halbe Wahr­heit – Keine Auto­biographie" in­zwi­schen neu auf­gelegt wor­den.

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16. Oktober 2020

Biographisches

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