4. Hymne an die Nacht
Nun weiß ich, wenn der letzte Morgen seyn wird – wenn das Licht nicht
mehr die Nacht und die Liebe scheucht – wenn der Schlummer ewig und nur
Ein unerschöpflicher Traum seyn wird. Himmlische Müdigkeit fühl
ich in mir. – Weit und ermüdend ward mir die Wallfahrt zum heiligen
Grabe, drückend das Kreutz. Die krystallene Woge, die gemeinen Sinnen
unvernehmlich, in des Hügels dunkeln Schooß quillt, an dessen
Fuß die irdische Flut bricht, wer sie gekostet, wer oben stand auf
dem Grenzgebürge der Welt, und hinübersah in das neue Land,
in der Nacht Wohnsitz – warlich der kehrt nicht in das Treiben der Welt
zurück, in das Land, wo das Licht in ewiger Unruh hauset.
Oben baut er sich Hütten, Hütten des Friedens, sehnt sich und
liebt, schaut hinüber, bis die willkommenste aller Stunden hinunter
ihn in den Brunnen der Quelle zieht – das Irdische schwimmt obenauf, wird
von Stürmen zurückgeführt, aber was heilig durch der Liebe
Berührung ward, rinnt aufgelöst in verborgenen Gängen auf
das jenseitige Gebiet, wo es, wie Düfte, sich mit entschlummerten
Lieben mischt.
Noch
weckst du, muntres Licht den Müden zur Arbeit – flößest
fröhliches Leben mir ein – aber du lockst mich von der Erinnerung
moosigem Denkmal nicht. Gern will ich die fleißigen Hände rühren,
überall umschaun, wo du mich brauchst – rühmen deines Glanzes
volle Pracht – unverdroßen verfolgen deines künstlichen Werks
schönen Zusammenhang – gern betrachten deiner gewaltigen, leuchtenden
Uhr sinnvollen Gang – ergründen der Kräfte Ebenmaß und
die Regeln des Wunderspiels unzähliger Räume und ihrer Zeiten.
Aber getreu der Nacht bleibt mein geheimes Herz, und der schaffenden Liebe,
ihrer Tochter. Kannst du mir zeigen ein ewig treues Herz? hat deine Sonne
freundliche Augen, die mich erkennen? fassen deine Sterne meine verlangende
Hand? Geben mir wieder den zärtlichen Druck und das kosende Wort?
Hast du mit Farben und leichtem Umriß Sie geziert – oder war Sie
es, die deinem Schmuck höhere, liebere Bedeutung gab? Welche Wollust,
welchen Genuß bietet dein Leben, die aufwögen des Todes Entzückungen?
Trägt nicht alles, was uns begeistert, die Farbe der Nacht? Sie trägt
dich mütterlich und ihr verdankst du all deine Herrlichkeit. Du verflögst
in dir selbst – in endlosen Raum zergingst du, wenn sie dich nicht hielte,
dich nicht bände, daß du warm würdest und flammend die
Welt zeugtest. Warlich ich war, eh du warst – die Mutter schickte mit
meinen Geschwistern mich, zu bewohnen deine Welt, sie zu heiligen mit
Liebe, daß sie ein ewig angeschautes Denkmal werde – zu bepflanzen
sie mit unverwelklichen Blumen. Noch reiften sie nicht diese göttlichen
Gedanken – Noch sind der Spuren unserer Offenbarung wenig – Einst zeigt
deine Uhr das Ende der Zeit, wenn du wirst wie unser einer, und voll Sehnsucht
und Inbrunst auslöschest und stirbst. In mir fühl ich deiner
Geschäftigkeit Ende – himmlische Freyheit, selige Rückkehr.
In wilden Schmerzen erkenn ich deine Entfernung von unsrer Heymath, deinen
Widerstand gegen den alten, herrlichen Himmel. Deine Wuth und dein Toben
ist vergebens. Unverbrennlich steht das Kreutz – eine Siegesfahne unsers
Geschlechts.
Hinüber wall ich,
Und jede Pein
Wird einst ein Stachel
Der Wollust seyn.
Noch wenig Zeiten,
So bin ich los,
Und liege trunken
Der Lieb' im Schooß.
Unendliches Leben
Wogt mächtig in mir
Ich schaue von oben
Herunter nach dir.
An jenem Hügel
Verlischt dein Glanz –
Ein Schatten bringet
Den kühlenden Kranz.
O! sauge, Geliebter,
Gewaltig mich an,
Daß ich entschlummern
Und lieben kann.
Ich fühle des Todes
Verjüngende Flut,
Zu Balsam und Aether
Verwandelt mein Blut –
Ich lebe bey Tage
Voll Glauben und Muth
Und sterbe die Nächte
In heiliger Glut.
Novalis
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