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Kamila Shamsie: Verbrannte Verse Kamila Shamsie
Verbrannte Verse.
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Bloomsbury Berlin 2005, 427 Seiten
ISBN 3-8270-0593-0

Aasmaanie Inqalab (himm­li­sche oder blaue Revolution) ist eine mo­der­ne junge Frau in Pa­kistan. Vor 12 Jah­ren ist ih­re Mut­ter ver­schwun­den, die nach dem Tod ih­res Ge­lieb­ten, eines be­kann­ten Dich­ters, in De­pres­sionen ver­sun­ken war. Seit­her leidet Aas­maa­nie, die sich auch schon vor­her von ihrer Mut­ter häu­fig verlassen ge­fühlt hat. Die Mut­ter (Sa­mi­na Ak­ram) war Fe­mi­nistin und aktive Op­po­si­tionelle, die stän­dig un­ter­wegs war, um an Ver­samm­lungen und Demons­tra­tio­nen teil­zu­neh­men.

Aasmaanie tritt eine neue Stel­le bei einem Fern­seh­sen­der an und trifft dort auf Mir Ad­nan Akbar Khan (genannt Ed), Sohn der populären Schau­spie­le­rin She­naz Sa­eed. Zwi­schen bei­den ent­wickelt sich ein am­bi­va­len­tes Ver­hält­nis zwi­schen Zu­nei­gung und Ab­stoßung. Eds Be­zie­hung zu sei­ner Mut­ter ist eben­falls gestört we­gen ihrer Ab­we­sen­heit während der Dreh­ar­bei­ten.

Shenaz Saeed erhält eine ver­schlüsselte Bot­schaft in ei­nem Code, der nur von Sa­mi­na und dem Dich­ter (der sich Na­zim nann­te nach Nazim Hik­met, dem tür­ki­schen Dich­ter, der lan­ge in­haf­tiert war und des­sen Texte in der Tür­kei nicht pu­bli­ziert wer­den durf­ten) ver­wendet wor­den war. Aas­maanie kennt den Code und kann die Nach­richt ent­schlüs­seln. Sie scheint von ih­rer ver­schwun­de­nen Mut­ter zu sein. Nach und nach tref­fen wei­te­re ver­schlüs­selte Bot­schaf­ten ein, die bei Aas­maa­nie zu­neh­mend den Ein­druck er­we­cken, dass der Dich­ter, der 16 Jah­re lang in­haf­tiert gewesen ist, noch lebt. Sie macht sich – ent­ge­gen al­ler War­nun­gen – auf die Su­che nach ihm und ih­rer Mut­ter.

In Gesprächen mit Shenaz Saeed stellt sich her­aus, dass sie und Aasmaanies Mut­ter beste Freun­din­nen gewesen sind, She­naz Samina so­gar ge­liebt hat und nach deren Ver­schwin­den ent­spre­chend ge­lit­ten hat. Am Ende wird klar, dass Ed der Ver­fas­ser der Bot­schaf­ten ist, der sei­ne Mut­ter trös­ten woll­te, schließ­lich aber be­mer­ken musste, dass sich die Sa­che ver­selbständigt hat. Durch die Ge­sprä­che Aas­maa­nis mit She­naz Saeed und Ed wird ihr klar, was sie jahrelang ver­drängt hat: Der Dich­ter wur­de im Gefängnis brutal er­mor­det und als Fol­ge da­von hat sich ih­re Mut­ter er­tränkt.

Thematisiert wird in diesem Ro­man die Fragilität von Iden­tität im Verhältnis zu Er­in­ne­rung und Ver­lus­ten. Die ge­sell­schaft­li­chen Verhältnisse in Pa­kis­tan während der Zeit, in der sich die Er­eig­nis­se ab­spie­len, beein­flussen die Bio­gra­phien der Pro­ta­go­nis­ten nach­drück­lich und zerreiben sie im Kon­flikt zwi­schen einer ra­di­ka­len Islam­in­ter­pre­ta­tion, die zu­neh­mend an Stär­ke ge­winnt, ge­gen­über ei­ner eher frei­sinnigen Le­bens­wei­se, der sich Aas­maa­nie und ihr Um­feld zu­ge­hö­rig füh­len. Das sind teil­wei­se sehr reflektierte Pas­sa­gen, nicht selten grenzt der Text aber auch ans Kit­schige, wie es sich ja auch – mei­ner Mei­nung nach – schon in der Ge­stal­tung des Schutz­um­schlags an­deu­tet.

Kamila Shamsie wurde in Pa­kis­tan geboren, lebt aber seit 2007 in England. 2019 sollte sie den Nelly-Sachs-Preis ver­lie­hen bekommen, nach Pro­tes­ten we­gen ihrer Unter­stützung der BDS-Kam­pagne (Boycott, Di­vest­ment and Sanctions) re­vi­dier­te die Jury ihre Ent­scheidung, was wie­de­rum zu Pro­tes­ten von Künst­lern und In­tel­lek­tuel­len führ­te.

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10. April 2021

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