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Friedrich Christian Delius: Als die Bücher noch geholfen haben Friedrich Christian Delius
Als die Bücher noch ge­hol­fen ha­ben.
Biografische Skiz­zen.
Rowohlt Berlin 2012, 297 Seiten, einige Ab­bil­dun­gen
ISBN 978 3 87134 735 1

Es sind in der Tat nur Skiz­zen zur be­ruf­li­chen Ent­wick­lung des Au­tors, es ist kei­ne Au­to­bio­gra­fie. Aber die we­sent­li­chen Punk­te sei­nes Wer­de­gangs als Au­tor und Lek­tor dürf­ten er­fasst wor­den sein und sind, bis auf we­ni­ge Aus­nah­men, in­for­ma­tiv und in­te­res­sant zu le­sen.

Zuerst die wohlwollende Auf­nah­me des noch jun­gen Au­tors durch die Grup­pe 47. Er be­schreibt sei­ne Ängs­te und Hoff­nun­gen, auch sei­ne Un­si­cher­heit über die Qua­li­tät der ei­ge­nen Tex­te, die Ver­blüf­fung über den Um­gang der an­de­ren mit­ei­nan­der und mit ihm, so­wie die Er­leich­te­rung, wenn er Zu­spruch er­fah­ren hat.

Erste eigene Er­fah­run­gen mit Li­te­ra­tur­kri­tik und dem Be­ginn des­sen, was man später als "die Revolte" be­zeich­ne­te, Kon­takt und Zu­sam­men­ar­beit mit Klaus Wa­gen­bach. Hier wird – wie ich finde – die an­sons­ten sehr poin­tier­te Schil­de­rung der Er­eig­nis­se etwas vage, die ei­ge­ne Position ver­schwimmt hin­ter jaja, ir­gend­wie habe ich schon dazu gehört, aber so rich­tig auch wieder nicht und au­ßer­dem die Frage der Ge­walt... De­lius arbeitet im Ver­lag Klaus Wagen­bach und ist zu­stän­dig für Li­te­ra­tur, wäh­rend Wa­gen­bach selbst und Wolf­gang Dreßen für die po­li­ti­schen Publikationen ver­ant­wort­lich sind. Ge­gen man­che Be­den­ken setzen die bei­den die erste Schrift der RAF durch [1]. Der Verlag ar­bei­tet als Kollektiv, je­der hat Ein­spruchs­mög­lich­kei­ten und könn­te eine sol­che Ver­öf­fent­li­chung ver­hin­dern. Tut es aber nicht. Und da­rum und über die Fra­ge des warum nicht, windet sich Delius über viele Seiten. In­te­res­sant ist es dennoch, da es ziemlich genau die Haltung vie­ler Linker zur plötz­li­chen Kon­fron­ta­tion mit bewaffneten Aus­ein­an­der­set­zun­gen im ei­ge­nen Land wie­der­gibt.

Ausführlich wird das Ende des Wa­gen­bach Verlags be­schrie­ben und die daraus her­vor­ge­hen­de Gründung des Rot­buch Ver­lags, dem er sich für ei­ni­ge Jahre an­schließt.

Am unergiebigsten fand ich das Kapitel über den Pro­zess, den der Sie­mens-Konzern ge­gen sei­ne "Fest­schrift" zum 125­jäh­ri­gen Jubiläum der Fir­ma ange­strengt hat, sowie über das Ver­fah­ren, das von Hel­mut Hor­ten wegen einer von Delius ver­fass­ten Mo­ri­tat ini­ti­iert worden war.

Das letzte Kapitel be­fasst sich mit Kontakten zu Autoren in der DDR und anderen Län­dern des Ost­blocks. Man spürt sei­nen Stolz, man­che dieser Au­to­ren im Westen erst be­kannt ge­macht zu haben, wo­von einige spä­ter mit bedeutenden Li­te­ra­tur­prei­sen ausgezeichnet wor­den sind (z.B. Herta Müller mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis). Und die große Enttäuschung, als Tho­mas Brasch, des­sen erste West­pu­bli­ka­ti­on im Rot­buch Ver­lag er­schei­nen war und dem man mit seiner Familie die Aus­rei­se in den Wes­ten er­mög­lich­te, noch am Tag die­ser Aus­rei­se und hin­ter den Rü­cken der ihn Un­ter­stüt­zen­den, ei­nen Ver­lags­wech­sel zu Suhr­kamp ausge­handelt hat. Ab­ge­schlos­sen wird der Band mit dem Abdruck der Dank­re­de zur Ver­lei­hung des Georg-Büchner-Preises (2011).

Zum Schluss zwei in den Text ein­ge­streu­te Zitate an­de­rer Au­to­ren, die wohl auch Delius' Cre­do sehr nahe kom­men:

Jeder Satz, jedes Buch, so sich selbst nicht wi­der­spricht, ist un­voll­stän­dig. (Friedrich Schle­gel)

Vielleicht macht nicht ir­gend eine Begabung den Men­schen zum Schrift­stel­ler, sondern die Tat­sa­che, dass er die Sprache und die fertigen Begriffe nicht ak­zep­tiert. (Imre Ker­tesz)

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1. »Kollektiv RAF. Über den be­waff­ne­ten Kampf in West­eu­ro­pa.« Eben­falls bei Wagen­bach erschien im selben Jahr »Rote Ar­mee Frak­tion: Das Kon­zept Stadt­guerilla.« in: Alex Schu­bert: Stadt­gue­rilla.

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13. April 2020

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