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Frederick Busch: Der Nachtinspektor Frederick Busch
Der Nachtinspektor
Übersetzt von Bar­bara Schaden
Berlin Verlag 2000, 368 Sei­ten
ISBN 3-8270-0327-x

William Bartholomew, der im Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg auf Sei­ten der Unio­nis­ten als Scharf­schüt­ze ge­kämpft hat, be­treibt in Five Points, ei­nem slum­ähn­li­chen Vier­tel in Man­hat­tan, mehr oder we­ni­ger du­bio­se Ge­schäf­te. Er be­sucht hin und wie­der ei­ne kreo­li­sche Pros­ti­tu­ier­te, zu der er ein ver­trau­ens­vol­les Verhält­nis ent­wi­ckelt. In be­sonders in­ti­men Mo­men­ten legt er bei ihr sei­ne Mas­ke ab, die er trägt, seit­dem ihm von ei­nem fö­de­ra­lis­ti­schen Scharf­schüt­zen das Ge­sicht weg­ge­schos­sen wur­de. Bar­tho­lo­mew er­in­nert sich im­mer wie­der an Si­tua­tio­nen wäh­rend des Krie­ges, in de­nen er, ver­steckt in ei­nem Ge­büsch oder auf ei­nem Baum, geg­ne­rische Sol­da­ten be­ob­ach­tet, um sie in ei­nem ge­eig­ne­ten Mo­ment zu er­schie­ßen. Er be­schreibt das emo­tions­los, er hat­te ei­nen Auf­trag und hat ihn er­le­digt.

Eines abends begegnet er ei­nem Mann, der sich als der Schrift­stel­ler Her­man Melville her­aus­stellt, der – da seine Ein­künf­te als Autor nicht aus­rei­chen, um seine Fa­mi­lie zu er­näh­ren – als Nacht­inspektor bei der New Yorker Ha­fen­be­hör­de ar­bei­tet. Man trifft sich wie­der, ent­wickelt ei­ne Freund­schaft, Bar­tho­lomew über­gibt Mel­ville auf des­sen Wunsch ei­nen Re­vol­ver, mit dem sich Mel­villes Sohn et­was spä­ter er­schießt.

Jessie, die Prostituierte, macht Bar­tholomew auf einen Men­schen­händ­ler­ring auf­merk­sam, der schwarze Kin­der als Skla­ven ver­kauft. Mel­ville wird ein­ge­weiht, und man ver­abredet ei­ne Befreiungs­ak­ti­on. Zu­sam­men mit Adam, ei­nem ehe­ma­li­gen Skla­ven, und Sam, ei­nem ehr­gei­zi­gen Jour­na­lis­ten, der in der selben Ein­heit wie Bartho­lomew ge­dient hat, ver­ab­re­det man ei­nen Ter­min, an dem man die Kin­der befreien will.

Aber dazu kommt es nicht. Als man zur Tat schrei­ten will, stellt sich Jessies Kom­pli­zen­schaft mit den Men­schen­händ­lern he­raus, und die Kin­der, die be­täubt in Holz­fäs­sern trans­por­tiert wor­den wa­ren, sind alle tot. Er­stickt oder er­trun­ken, als die Verbrecher die Fäs­ser in das Hafen­be­cken werfen, um die Be­wei­se ge­gen sich zu ver­nich­ten. Bar­tho­lo­mew wird wie­der zum Scharf­schützen und tö­tet die Gangs­ter, eben­so Jes­sie. In der letzten Ein­stel­lung (Ka­pi­tel 9, das, wie vie­le Stel­len in dem Buch, star­ke fil­mi­sche Ele­men­te auf­weist) wan­dern Bar­tho­lomew und Chun Ho, ei­ne Chi­ne­sin, die ei­ne Rei­ni­gung be­treibt, durch Five Points, man starrt sie an. Der letz­te Satz des Romans lau­tet: "Während sie stan­den und starrten, dreh­ten die Mas­ken sich gleich­zei­tig um und gin­gen davon, die lau­te, schmut­zi­ge Straße ent­lang, bis sie schließlich nicht mehr zu se­hen wa­ren, ver­schwun­den zwi­schen den Zer­lump­ten und Hung­ri­gen und Ver­zwei­fel­ten des Vier­tels."

Atmosphärisch erinnert der Ro­man an Hogarths Gin Lane, es sind dunk­le und ge­fähr­liche Ge­gen­den, die durch­streift wer­den, die Men­schen sind eher Ty­pen als Cha­rak­tere. Alle sind ge­fan­gen in ihren Schick­sa­len, wer­den ver­folgt und sind ge­prägt von Umständen, auf die sie kaum Ein­fluss haben. Ein düs­te­rer Roman, der mit man­chen Schilderungen den Le­sern viel zu­mu­tet.

19. April 2020

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