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Gregor Eisenhauer: Scharlatane Gregor Eisenhauer
Scharlatane.
Zehn Fallstudien.
Eichborn Verlag 1994, 319 Seiten
ISBN 3-8218-4441-8

"Die Zahl prak­ti­zie­ren­der Er­lö­ser war zu al­len Zeiten größer als der tat­sächliche Be­darf." So be­ginnt Gre­gor Ei­sen­hau­ers Buch über zehn aus­ge­wähl­te Schar­la­ta­ne von der An­ti­ke bis in die 50er Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts. Sein An­lie­gen ist es, auf auf­klä­re­ri­sche Weise zu un­ter­hal­ten, oder bes­ser: auf unter­halt­same Wei­se auf­zu­klä­ren. Er tut das mit fei­ner, zu­wei­len auch bissiger Iro­nie. Schar­la­tane, Hoch­stap­ler (man möchte hin­zu­fü­gen: De­ma­go­gen) sind nichts ohne das Umfeld, das sie nicht nur ge­wäh­ren lässt, sondern ih­nen nicht selten erst die Vor­stel­lung einpflanzt, zu Hö­he­rem be­ru­fen zu sein. Dieses Umfeld be­rück­sich­tigt Eisen­hauer eben­so wie die Genese ihres Trei­bens und die Kon­se­quen­zen, die ihnen selbst und ihren An­hän­gern daraus er­wach­sen.

Apollonios von Tyana: Wun­der über Wun­der voll­bringend zog Apol­lonios durch die antike Welt und vergrößerte ständig die Zahl seiner An­hän­ger. Man­che verglichen ihn mit Jesus, und im­mer­hin wurde er fast dop­pelt so alt wie dieser. Zweif­ler gab es schon zu sei­nen Leb­zei­ten nicht we­ni­ge, in­zwi­schen ist er so gut wie ver­ges­sen.

Paracelsus: Gilt als Kritiker der zu seiner Zeit prak­ti­zier­ten me­di­zi­ni­schen Be­hand­lungs­me­tho­den und als Be­grün­der der Naturheilkunde. Sei­ne spek­ta­ku­lä­ren Heil­er­fol­ge beruhten vor allem auf Hö­ren­sagen, seine seltenen län­ge­ren Auf­ent­hal­te an einem Ort wurden meist durch jähe Flucht be­en­det. Man verehrte und be­schimpfte ihn, er war in zahl­reiche Prozesse ver­wi­ckelt, 1541 wurde er auf dem Armen­friedhof in Salz­burg bei­ge­setzt.

Nostradamus: Kryptische Pro­phe­zeiungen bis ins Jahr 3797 erregten Aufsehen, und noch heu­te gibt es einen Markt für Bücher über oder von ihm. Noch immer grübeln manche über die For­mu­lie­run­gen und nach­her hatte er (Nos­tra­da­mus) immer schon alles vorher gewusst.

Athanasius Kircher [1]: Der letzte Mensch, der al­les wuss­te. Kein Wissens­gebiet, dem er nicht ei­ne um­fassende Ab­hand­lung widmete, Er­fin­dun­gen, Ex­perimente, Samm­lun­gen mit un­ermüd­licher Ener­gie und zum Ruhm der (ka­tho­li­schen) Christen­heit. Vor allem aber zu seinem ei­ge­nen. In seiner Zeit hoch ge­ach­tet und um­strit­ten, er­scheint er der Nachwelt nur noch als Hoch­stap­ler.

Cagliostro: Alchemist, der aus der Verblendung sei­ner ade­li­gen Klientel Gold ge­wann. Viel un­ter­wegs, um Schuld­nern und der Justiz zu ent­kom­men, fand er immer wieder wohlhabende Gön­ner, die seinen auf­wän­digen Le­bens­stil fi­nan­zier­ten. Machte als Freimaurer und ver­meint­li­cher Illu­mi­nat Kar­rie­re bis in die höchsten Grade. Die Hals­band­affäre brach im das Ge­nick, und er en­de­te, zu le­bens­lan­ger Haft verurteilt, im Kerker der Festung von San Leo bei San Marino, wo er nach zwei Schlaganfällen ver­starb.

David Ferdinand Koreff: Arzt mit literarischen und po­li­ti­schen Ambitionen, der stets in den höchs­ten Kreisen ver­kehr­te und dessen Heil­er­fol­ge mit Hilfe des damals gerade sehr po­pu­lä­ren Magnetismus le­gen­där waren. Die Miss­er­fol­ge – und sie wa­ren be­trächt­lich – wurden lange Zeit nicht be­ach­tet, ebenso seine un­kla­ren fi­nan­ziel­len Ver­hält­nis­se. Am Ende fiel er in Ungnade und starb verarmt.

Helena Petrovna Blavatsky [2]: Hätte sie ihre Dienst­bo­ten bes­ser bezahlt, wäre es ver­mut­lich zu weniger kom­pro­mit­tie­ren­den Offen­legungen von Tricks ge­kom­men, mit denen Helena Bla­vatsky ihren An­hän­gern ihre Kon­tak­te zu den "Auf­ge­stie­ge­nen Meis­tern" der "Großen Wei­ßen Bru­der­schaft" beweisen woll­te. Dennoch war sie mit ihrer Theo­so­phi­schen Ge­sell­schaft ein­fluss­reich und ihre Lehren ("Isis ent­schleiert" und "Die Geheim­lehre") werden auch heute noch studiert und als Aus­fluss außer­ge­wöhn­licher Spiri­tualität wahr­ge­nom­men.

Aleister Crowley: Magier, Berg­steiger und Poet. Dro­gen­ex­pe­ri­men­ta­tor und -ab­hän­gi­ger, In­kar­na­tion so man­cher Gott­heit und des Anti­christ, nichts war ihm zu spek­ta­kulär, um es nicht aus­zu­pro­bieren und dann der Welt mit­zu­tei­len. Man ver­däch­tig­te ihn der Spio­na­ge für das Deut­sche Reich, ver­höhnte ihn und nahm ihn als li­te­ra­ri­sches Vor­bild ("Haddo" in W. So­mer­set Maug­hams "Der Ma­gier"). Er hatte (und hat) weltweit An­hän­ger, von denen einige ein tragisches Ende fan­den. Er selbst starb 72jäh­rig in einer eng­li­schen Pen­sion an Herz­mus­kel­schwä­che.

Erik Jan Hanussen: Ging in die Lehre bei einem Zau­ber­künst­ler und verstand es, des­sen Fä­hig­kei­ten aus­zu­bauen und für sei­ne Mental­magie zu per­fek­tio­nie­ren. Er trat als Hell­seher auf, be­riet die Po­li­zei bei unauf­geklärten Kri­mi­nal­fällen und machte eine schwin­del­er­re­gen­de Karriere. Zum Ver­hängnis wurde ihm seine Nähe zur NSDAP und ins­be­son­dere zu Funktions­trägern der SA, die er hofierte und mit groß­zü­gi­gen Kre­di­ten versorgte. Nach der "Macht­ergrei­fung" fiel sei­ne jüdische Herkunft auf, und er wurde nach sei­ner Festnahme auf einer Land­straße er­schos­sen.

Paramahansa Yogananda: Auch ihm werden zahl­lose Wunder zu­ge­schrie­ben, die er als Guru und göttliche In­kar­nation quasi en passant voll­brach­te. Zentral für seine Leh­re ist die Ausübung des Kriya Yoga, das er in weiten Teilen der Welt durch ent­spre­chen­de Insti­tutionen verbreiten ließ. Seine "Auto­bio­gra­phie eines Yogi" wird auch heute noch in eso­te­ri­schen Krei­sen ge­le­sen.

Abschließend ein dreiseitiges Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis zur wei­te­ren Vertiefung des Phä­no­mens und der Kenntnis über die auf­geführten Personen.

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1. siehe auch: John Glassie: Der letzte Mann, der al­les wusste

2. "Eine Frau, die nach 54 auf­re­gen­den Lebens­jahren, zwei Ehe­män­nern, einer unbestimmten Zahl von Lieb­ha­bern und einem un­ehe­li­chen Sohn feierlich be­teu­ert, sie sei noch immer Jung­frau, kann keine ge­wöhn­liche Lüg­nerin sein." S. 197

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9. Februar 2021

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