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Hans Magnus Enzensberger Die Gattungsbezeichnung des Buches als "Roman" führt in die Irre. Tatsächlich handelt es sich um eine Collage um die Person des spanischen Anarchisten Buonaventura Durruti, eingebettet in die Geschichte der sozialen Bewegung, der er angehörte, mit dem Kulminationspunkt seines Todes während des Spanischen Bürgerkriegs. Die Elemente dieser Collage bestehen aus Zitaten von Mitkämpfern, Journalisten, Historikern, Gegnern, thematisch zusammengefasst in Kapiteln, von denen einige mit einer "Glosse" Enzensbergers eröffnet werden. Es entsteht ein disparates Bild sowohl des spanischen Anarchismus als auch der Person Durrutis, der – je nach Standpunkt der Quellen – als Abenteurer, Verbrecher, wagemutiger Guerillero oder unfähiger militärischer Führer beschrieben wird. Der spanische Anarchismus, vor allem in seiner syndikalistischen Variante, war eine Massenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1939. Die CNT (Confederacion Nacional del Trabajo) war die größte spanische Gewerkschaft mit deutlich über einer Million Mitglieder in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie war eindeutig anarchosyndikalistisch ausgerichtet. Ihr politischer Arm, die FAI (Federacion Anarquista Iberica), agierte in Teilen aus dem Untergrund und war – neben der eigentlichen politischen Arbeit – verantwortlich für Anschläge und Raubüberfälle zur Finanzierung diverser Projekte. Durruti war Mitglied in beiden Organisationen und mehrmals inhaftiert wegen des Verdachts der Beteiligung an illegalen Aktivitäten. Mehrere Jahre lebte er im Exil in Frankreich und Südamerika, 1932 kehrte er nach Spanien zurück und beteiligte sich an den sozialen Kämpfen der Zeit. Als im Juli 1936 General Franco mit seinen Truppen gegen die republikanische Regierung putschte, stellten sich ihm vor allem bewaffnete Bauern und Arbeiter entgegen. Die Anarchisten gerieten in die Zwickmühle zwischen Kooperation mit der bürgerlichen Regierung, die sie eigentlich stürzen wollten, und dem Versuch, den Widerstand gegen den Putsch mit einer sozialen Revolution zu verbinden. Die sich daraus ergebenden Konflikte machten sich auch innerhalb von CNT und FAI bemerkbar. Durruti wurde am 19. November 1936 von einer Kugel getroffen, deren Herkunft bis heute ungeklärt ist. Die Spekulationen reichen von einem franquistischen Geschoss, das während der Belagerung von Madrid aus einem umstellten Gebäude abgefeuert worden ist, über ein Mordkomplott der Kommunisten gegen den populären Milizionär, sogar ein Anschlag aus den eigenen Reihen wird nicht ausgeschlossen. Am wahrscheinlichsten erscheint ein Unfall, bei dem sich der Schuss aus Durrutis eigener Waffe löste, während er aus einem Wagen stieg. Einen Tag später ist er tot. Geschichte ist selten eindeutig und in diesem Fall gilt das ganz besonders. Die Vielzahl der zitierten Stimmen ist verwirrend, das Buch macht aber gerade dadurch die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der Protagonisten dieser geschichtlichen Epoche transparenter. 16. September 2022 |
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