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Nicholas Evans Sprachen Nicholas Evans:
Wenn Sprachen ster­ben und was wir mit ih­nen ver­lie­ren.
Aus dem Englischen von Ro­bert Mail­ham­mer.
Verlag C.H. Beck 2014, 416 Sei­ten, ISBN 978 3 406 65327 8

Das kulturelle Erbe der Mensch­heit ma­ni­fes­tiert sich in der Viel­falt ih­rer Spra­chen. Ni­cho­las Evans geht in sei­ner Ana­ly­se da­von aus, dass von den der­zeit rund 6.000 welt­weit ge­spro­che­nen Spra­chen etwa die Hälf­te in den kom­men­den Jahr­zehn­ten vom Aus­ster­ben be­droht ist*. Jede Spra­che ent­hält ein­zig­ar­ti­ge Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der mensch­li­chen Er­fah­rung, und ihr Aus­ster­ben ist nicht we­ni­ger dra­ma­tisch als das Ar­ten­ster­ben in Flo­ra und Fau­na.

Evans beschreibt die un­ter­schied­li­chen Wege der Re­kon­struk­tion un­ter­ge­gan­ge­ner bzw. un­ter­ge­hen­der Spra­chen, bei der ver­schie­de­ne Me­tho­den wie Ar­chäo­lo­gie, Psy­cho­lo­gie so­wie his­to­ri­sche und ver­glei­chen­de Sprach­wis­sen­schaft in­ter­dis­zi­pli­när zu­sam­men­wir­ken. Be­son­ders kom­plex ge­stal­tet sich die­se Ar­beit bei münd­li­chen Spra­chen ohne schrift­li­che Über­lie­fe­rung, de­ren Re­kon­struk­tion auf­wän­dig über Nach­fol­ge­spra­chen, eth­no­lin­guis­ti­sche Feld­for­schung und kul­tu­rel­le Prak­ti­ken er­fol­gen muss.

Die Vielfalt mensch­li­cher Er­fah­run­gen schlägt sich auch le­xi­ka­lisch nie­der. Um­welt­be­ding­te Not­wen­dig­kei­ten füh­ren zu aus­dif­fe­ren­zier­ten Wort­schät­zen und gram­ma­ti­ka­li­schen Struk­tu­ren, de­ren Ver­ständ­nis für For­scher aus sich stark un­ter­schei­den­den kul­tu­rel­len Zu­sam­men­hän­gen kaum über­wind­bar er­scheint. Bei­spiels­wei­se ließ die U.S. Army die Ver­schlüs­se­lung ih­rer Nach­rich­ten wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs durch An­ge­hö­ri­ge des Na­va­jo-Stamms in ih­rer Spra­che durch­füh­ren, wo­durch ja­pa­ni­sche De­co­die­rer vor un­lös­ba­re Prob­le­me ge­stellt wur­den.

Evans plädiert aus zwei­er­lei Grün­den für ein kon­se­quen­tes Er­for­schen der Spra­chen, die viel­fach vom Aus­ster­ben be­droht sind. Zum ei­nen, weil mit ih­rem Ver­schwin­den re­le­van­tes Wis­sen ver­lo­ren gin­ge – etwa über öko­lo­gi­sche Zu­sam­men­hän­ge, land­wirt­schaft­li­che Tech­ni­ken oder bis­lang un­be­kann­te Tier- und Pflan­zen­ar­ten. Zum an­de­ren, weil das Durch­drin­gen frem­der Spra­chen hel­fe, Va­rian­ten so­zia­ler Kog­ni­tion zu ver­ste­hen, Wahr­neh­mungs- und Denk­mus­ter der Men­schen und ih­rem spe­zi­fi­schen Zu­gang zu der Welt, in der sie leb­ten.

Nicholas Evans (*1956), als Feld­for­scher und Hoch­schul­leh­rer tä­tig, kon­zen­triert sich ins­be­son­de­re auf die in­di­ge­nen Spra­chen Aus­tra­liens so­wie auf die Pa­pua-Spra­chen.


* „Den zuverlässigsten ak­tu­el­len Schät­zun­gen zu­fol­ge stirbt alle zwei Wo­chen ir­gend­wo auf der Welt der letz­te Spre­cher oder die letz­te Spre­che­rin ei­ner sich be­reits am Ver­stum­men be­fin­den­den Spra­che.“ S. 11


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22. Mai 2025

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