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Wolfgang Haug 
Theodor Plievier Wolfgang Haug
Theodor Plievier. Anarchist ohne Ad­jek­ti­ve. Der Schrift­stel­ler der Frei­heit.
Verlag Edition AV 2020, 490 Sei­ten, ISBN 978-3-86841-220-8

Die akribisch re­cher­chier­te und um­fang­rei­che Bio­gra­phie von Wolf­gang Haug über Theo­dor Plie­vier ver­folgt zwei Zie­le: Zum ei­nen die kon­kre­te Er­fas­sung der Le­bens­da­ten des Au­tors von Ro­ma­nen wie "Sta­lin­grad", "Mos­kau" und "Ber­lin", zum an­de­ren die Klar­stel­lung sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung. Im Wes­ten häu­fig als (ehe­ma­li­ger) Kom­mu­nist de­nun­ziert, wur­de er in der DDR und der Sow­jet­u­ni­on als Re­ne­gat, der sich den ka­pi­ta­lis­ti­schen Ver­füh­run­gen er­ge­ben hat­te, aus der Li­te­ra­tur­ge­schich­te ge­tilgt. Haugs Dar­le­gun­gen be­schrei­ben Plie­vier als ei­nen scho­nungs­lo­sen Kri­ti­ker to­ta­li­tä­rer Sys­te­me, der die Frei­heit des Ein­zel­nen über al­les stell­te.

Plieviers Le­bens­span­ne (1892-1955) um­fasst das Kai­ser­reich, die Wei­ma­rer Re­pu­blik, den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus so­wie die bei­den deut­schen Nach­kriegs­staa­ten. Er starb in der Schweiz, wo er sei­ne letz­ten Jah­re ver­brach­te.

Wolfgang Haugs Bio­gra­phie zeich­net ein de­tail­lier­tes Bild des Schrift­stel­lers als über­zeug­ten Anar­chis­ten und An­ti­mi­li­ta­ris­ten. Plie­vier be­gann sein Be­rufs­le­ben als Ma­tro­se, er­leb­te den Ers­ten Welt­krieg und wur­de durch die No­vem­ber­re­vo­lu­tion 1918 po­li­ti­siert. Er en­ga­gier­te sich zu­nächst im anar­chis­ti­schen und syn­di­ka­lis­ti­schen Mi­lieu, be­vor er in Ber­lin als Au­tor und Ver­le­ger ak­tiv wur­de. Sein li­te­ra­ri­scher Durch­bruch ge­lang ihm mit "Des Kai­sers Ku­lis" (1930) und "Der Kai­ser ging, die Ge­ne­rä­le blie­ben" (1932).

Nach der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten floh er ins Exil, zu­nächst nach Prag und Pa­ris, spä­ter in die Sow­jet­u­ni­on. Dort ge­riet er als Nicht­kom­mu­nist in ei­ne schwie­ri­ge La­ge, ent­ging aber den sta­li­nis­ti­schen Säu­be­run­gen, de­nen vie­le sei­ner Kol­le­gen zum Op­fer fie­len. Wäh­rend sei­nes Exils schrieb er sei­nen be­kann­tes­ten Ro­man "Sta­lin­grad" (1945), der auf In­ter­views mit deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen ba­sier­t.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kehr­te Plie­vier nach Deutsch­land zu­rück, verließ aber 1947 die Sow­je­ti­sche Be­sat­zungs­zo­ne auf­grund zu­neh­men­der ideo­lo­gi­scher Span­nun­gen. In West­deutsch­land und spä­ter in der Schweiz setz­te er sei­ne kri­ti­sche Aus­ei­nan­der­set­zung mit Dik­ta­tu­ren fort. Er trat für ei­nen "So­zia­lis­mus von un­ten" und ein fö­de­ra­lis­ti­sches Eu­ro­pa ein.

Wolfgang Haugs Bio­gra­phie räumt mit vie­len Miss­ver­ständ­nis­sen auf, die ih­ren Ur­sprung vor al­lem in Har­ry Wildes Bio­gra­phie über Plie­vier, "Theo­dor Plie­vier. Null­punkt der Frei­heit", hat­ten, in der Wilde Plie­vier eine Nähe zum Kom­mu­nis­mus un­ter­stellt, die nie be­stan­den hat. Mit Wolf­gang Haugs Bio­gra­phie liegt die ers­te wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Le­bens­be­schrei­bung von Theo­dor Plie­vier vor, die die his­to­ri­schen Um­stän­de be­rück­sich­tigt, die Plie­viers Le­bens­lauf be­stimmt ha­ben, und die sich glei­cher­ma­ßen mit sei­nem li­te­ra­ri­schem Werk be­fasst. Ein um­fang­rei­ches Quel­len­ver­zeich­nis und ein mehr­sei­ti­ges Per­so­nen­re­gis­ter bie­ten die Mög­lich­keit, sich in­ten­si­ver mit Le­ben und Werk von Theo­dor Plie­vier aus­ei­nan­der­zu­set­zen.


Anarchismus

Biographisches

5. Februar 2025

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