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Chloe Hooper Märchen eines wahren Mordes Chloe Hooper
Märchen eines wahren Mordes. Ro­man.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden.
Berlin Verlag 2003, 275 Sei­ten, ISBN 3-8270-0467-5

Vor etwa zwölf Jahren er­schüt­ter­te ein Mord die klei­ne tas­ma­ni­sche Ge­mein­de End­port, de­ren Ur­sprung in der Be­sie­de­lung durch de­por­tier­te bri­ti­sche Sträf­lin­ge liegt. Das Opfer war die jun­ge Sprech­stun­den­hil­fe Ellie Sid­dell, die in der Pra­xis des Tier­arz­tes Grae­me Har­vey ar­bei­te­te. Bei­de hat­ten ein Ver­hält­nis mit­ei­nan­der, und als man die übel zu­ge­rich­te­te Lei­che ge­fun­den hat­te, deu­te­te al­les auf ein Ei­fer­suchts­dra­ma hin, zu­mal Mar­got, die Frau des Arz­tes, ver­schwun­den war. Ihr Au­to fand man spä­ter an der Küs­te wie­der und man ver­mu­te­te, dass sie sich über die stei­len Klip­pen (im Volks­mund Selbst­mör­der­klip­pen ge­nannt) ins Meer ge­stürzt hat­te.

Kate Byrne ist eine noch jun­ge Leh­re­rin an der ört­li­chen Grund­schu­le, ihr Lieb­lings­schü­ler ist der in­tel­li­gen­te, aber auch et­was ver­stört wir­ken­de Lu­cien. Kate er­liegt dem Char­me des selbst­si­cher und iro­nisch auf­tre­ten­den Va­ters von Lu­cien und be­ginnt eine am­bi­va­len­te Be­zie­hung zu ihm. Es bil­det sich eine Kon­stel­la­tion, wie sie von Ve­ro­ni­ca, der Ehe­frau Tho­mas', in ei­ner li­te­ra­ri­schen Be­ar­bei­tung des Mord­falls be­schrie­ben wird. "Mord in Black Swan Point" lau­tet der Ti­tel und be­fasst sich mit of­fe­nen Fra­gen des Fal­les. Am Tat­ort wur­de nicht nur das Blut Ellies ge­fun­den, auch Mar­got muss ver­letzt ge­we­sen sein, wie es die Spu­ren in der Kü­che der Har­veys na­he­le­gen. Wo war Grae­me wäh­rend­des­sen? Was un­ter­nahm Mar­got nach der Tat? War sie über­haupt die Mör­de­rin?

Kate beginnt Thomas und Ve­ro­ni­ca mit an­de­ren Au­gen zu se­hen. Weiß Ve­ro­ni­ca von ih­rer Liai­son mit Tho­mas, ist sie die ano­ny­me nächt­li­che An­ru­fe­rin? Wer hat "Ich weiß al­les" an die Tür des Klas­sen­zim­mers ge­ritzt, in dem Kate un­ter­rich­tet? Und als we­nig spä­ter die Brem­sen an ih­rem Wa­gen ver­sa­gen, ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen ih­rer täg­li­chen Rea­li­tät und den Ah­nun­gen, Be­fürch­tun­gen und Fan­ta­sien, die nicht zu­letzt auch aus ih­rer ei­ge­nen Kind­heit auf­stei­gen, um Pa­ral­le­len zu zie­hen, die im­mer be­droh­li­cher wir­ken.

Chloe Hooper versteht es meis­ter­haft, die Auf­lö­sung von Ge­wiss­hei­ten zu be­schrei­ben, die At­mo­sphä­re wach­sen­der Ir­ri­ta­tion und Un­si­cher­heit, in­dem sie die ver­schie­de­nen Er­zähl­ebe­nen zu­ei­nan­der und ge­gen­ei­nan­der in Be­zie­hung setzt. Die un­ter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven auf das oh­ne­hin nicht Ein­deu­ti­ge und ihre Ver­schie­bung in un­be­stimm­te – wahn­haf­te? – Mög­lich­kei­ten schafft ein Un­be­ha­gen, das sich von Kate auf die Le­ser über­trägt.

Chloe Hooper (*1973) ist eine aus­tra­li­sche Au­to­rin, de­ren ers­te Ver­öf­fent­li­chung das hier be­spro­che­ne Buch ist. Sie be­schäf­tigt sich im wei­tes­ten Sinn mit aus­tra­li­scher Ge­schich­te.


29. Oktober 2024

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