Kassiber | |||||
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Chloe Hooper Vor etwa zwölf Jahren erschütterte ein Mord die kleine tasmanische Gemeinde Endport, deren Ursprung in der Besiedelung durch deportierte britische Sträflinge liegt. Das Opfer war die junge Sprechstundenhilfe Ellie Siddell, die in der Praxis des Tierarztes Graeme Harvey arbeitete. Beide hatten ein Verhältnis miteinander, und als man die übel zugerichtete Leiche gefunden hatte, deutete alles auf ein Eifersuchtsdrama hin, zumal Margot, die Frau des Arztes, verschwunden war. Ihr Auto fand man später an der Küste wieder und man vermutete, dass sie sich über die steilen Klippen (im Volksmund Selbstmörderklippen genannt) ins Meer gestürzt hatte. Kate Byrne ist eine noch junge Lehrerin an der örtlichen Grundschule, ihr Lieblingsschüler ist der intelligente, aber auch etwas verstört wirkende Lucien. Kate erliegt dem Charme des selbstsicher und ironisch auftretenden Vaters von Lucien und beginnt eine ambivalente Beziehung zu ihm. Es bildet sich eine Konstellation, wie sie von Veronica, der Ehefrau Thomas', in einer literarischen Bearbeitung des Mordfalls beschrieben wird. "Mord in Black Swan Point" lautet der Titel und befasst sich mit offenen Fragen des Falles. Am Tatort wurde nicht nur das Blut Ellies gefunden, auch Margot muss verletzt gewesen sein, wie es die Spuren in der Küche der Harveys nahelegen. Wo war Graeme währenddessen? Was unternahm Margot nach der Tat? War sie überhaupt die Mörderin? Kate beginnt Thomas und Veronica mit anderen Augen zu sehen. Weiß Veronica von ihrer Liaison mit Thomas, ist sie die anonyme nächtliche Anruferin? Wer hat "Ich weiß alles" an die Tür des Klassenzimmers geritzt, in dem Kate unterrichtet? Und als wenig später die Bremsen an ihrem Wagen versagen, verschwimmen die Grenzen zwischen ihrer täglichen Realität und den Ahnungen, Befürchtungen und Fantasien, die nicht zuletzt auch aus ihrer eigenen Kindheit aufsteigen, um Parallelen zu ziehen, die immer bedrohlicher wirken. Chloe Hooper versteht es meisterhaft, die Auflösung von Gewissheiten zu beschreiben, die Atmosphäre wachsender Irritation und Unsicherheit, indem sie die verschiedenen Erzählebenen zueinander und gegeneinander in Beziehung setzt. Die unterschiedlichen Perspektiven auf das ohnehin nicht Eindeutige und ihre Verschiebung in unbestimmte – wahnhafte? – Möglichkeiten schafft ein Unbehagen, das sich von Kate auf die Leser überträgt. Chloe Hooper (*1973) ist eine australische Autorin, deren erste Veröffentlichung das hier besprochene Buch ist. Sie beschäftigt sich im weitesten Sinn mit australischer Geschichte. 29. Oktober 2024 |
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