Kassiber | |||||
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Tilman Jens 2009 veröffentlichte Tilman Jens ein Buch, das sich mit dem Abgleiten seines Vaters in die Demenz auseinandersetzte [1]. Er stellte den Beginn der Erkrankung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der NSDAP-Mitgliedschaft von Walter Jens, über die dieser immer geschwiegen hatte und dann behauptete, keinerlei Erinnerung an eine Unterschrift zur Aufnahme in die Partei zu haben. Neben einigen lobenden Kritiken gab es heftige Angriffe gegen Tilman Jens, dem man vorwarf, noch zu Lebzeiten seines Vaters dessen Krankheit bis in intimste Details beschrieben zu haben und damit das Bild, das in der Öffentlichkeit von seinem Vater bestanden hatte, nachhaltig zerstört zu haben. Im Grunde warf man ihm den ödipalen Vatermord vor. 2010 antwortete Tilman Jens auf all diese Anwürfe mit polemischem Furor in seinem Buch "Vatermord". Er ist verletzt, fühlt sich missverstanden und als Opfer einer Treibjagd. Er versteht nicht die Empörung darüber, dass er einen Vorabdruck des Buches ausgerechnet in der Bild-Zeitung veröffentlichen ließ, und erklärt ausführlich, warum er das Buch seiner "Mami" gewidmet hat. Ödipale Konflikte, wo er doch seinen Vater so geliebt hat und sie ein so gutes Verhältnis zueinander hatten? Warum, fragt er sich und uns, dürfen Daniel Kehlmann und Sylvia Zacharias über die Demenz ihrer Väter reden und publizieren, ohne dass ihnen Ähnliches vorgeworfen wird wie ihm? Tilman Jens hält den Vorwurf des Vatermordes für justiziabel und referiert den Fall des Philipp Halsmann, der in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts des Vatermordes angeklagt und, trotz fehlender Beweise und massiver Proteste der Öffentlichkeit [2], auch verurteilt wurde. Er zitiert literarische Beispiele für die Problematik (Schiller, Hasenclever, Bronnen usw) und stellt die These auf, dass die Söhne bedeutender Männer als ihr Eigentum betrachtet werden und ihre Versuche sich zu behaupten, als ein Verstoß gegen die natürliche Ordnung (mit Bezug auf Luther) angesehen und entsprechend sanktioniert wird. Aber der Hass der Söhne liegt im Verhalten der Väter begründet, und "wenn sie (die Söhne KM) ihre Wut unterdrücken, dann war der Weg in die Selbstzerstörung oft nicht weit." (S. 171) [3] Das Buch ist auch eine kleine Kulturgeschichte des Vater-Sohn-Konflikts und das macht es, trotz des larmoyanten Unverständnisses für seine Kritiker, zur streckenweise interessanten Lektüre. Ansonsten ist "Vatermord" ein trauriges Beispiel dafür, wie ein Mensch, der sich zu Unrecht angegriffen fühlt, durch die Art und Weise, in der er sich verteidigt, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen plausibler macht. ---------------------------- 1. Tilman Jens: Demenz. Abschied von meinem Vater. 2. Neben anderen Thomas Mann, Albert Einstein und Sigmund Freud. 3. Als Beispiele nennt er August Goethe und Klaus Mann. August war Alkoholiker, Klaus Morphinist. ---------------------------- 20. November 2022 |
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