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Keegan (1934 – 2012) war Militärhistoriker und Journalist und hatte für 25 Jahre einen Lehrstuhl an der Royal Military Academy Sandhurst, lehrte aber auch an anderen Universitäten in England und den USA. Sein Anliegen in diesem Buch ist es, die drei Schlachten aus der Sicht ihrer Teilnehmer, besonders aus der Sicht der einfachen Soldaten darzustellen. Zu Azincourt musste er dafür im Wesentlichen die offiziellen Verlautbarungen interpretieren, zu Waterloo und Somme liegen jede Menge Berichte von Teilnehmern vor, die das Geschehen unmittelbar erlebten. Ausgewählt wurden diese drei Schlachten, weil in Ihnen die Veränderung des Schlachtgeschehens durch die Entwicklung der diversen Waffengattungen dokumentiert ist und weil eine ausreichend große Zahl authentischer Dokumente zu ihrer Darstellung vorhanden ist [1]. Geschildert wird jeweils ein Tag, die Schlachten bei Azincourt und Waterloo dauerten auch nicht länger, die Schlacht an der Somme zog sich über mehrere Monate hin, beschrieben wird nur der erste Tag. Keegan beginnt mit einer kritischen Betrachtung der Militärgeschichtsschreibung von der Antike bis zur Gegenwart. Exemplarisch analysiert er die gegensätzlichen Schlachtenberichte von Caesar und Thukydides, der eine dem Heroismus sowie strategischen und taktischen Geniestreichen verpflichtet, der andere eher die Bedingungen und Konsequenzen des Krieges für die daran Beteiligten hervorhebend. Azincourt: Nach einer kurzen historischen Einführung zu den Umständen, die zu der Schlacht am 23. Oktober 1415 führten, beschreibt Keegan die Truppenstärke der Briten und Franzosen sowie deren jeweilige Waffengattungen. Es folgt eine Einschätzung der geographischen Verhältnisse, unter denen die beiden Heere gegeneinander antraten. Er teilt das Geschehen vor, während und nach der Schlacht in Abschnitte ein, die er detailliert beschreibt. Die Soldaten sind ausgehungert, erschöpft und nicht selten betrunken. Da sie über viele Stunden in Erwartung des Kampfbeginns in Reih und Glied stehen, müssen sie ihre Notdurft an Ort und Stelle verrichten, der Boden ist vom langen Regen aufgeweicht. Schon kurz nach Beginn der Schlacht ist das Gelände übersät von toten und verletzten Menschen und Pferden, was sowohl die Vorwärtsbewegung als auch den Rückzug stark behindert. Im Kampf Mann gegen Mann ist die Dichte der Kämpfenden von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeit, die Schlag- und Stichwaffen optimal einzusetzen und sich nicht gegenseitig zu behindern und zu verletzen. Fliehende werden von der eigenen Kavallerie niedergemacht oder zum erneuten Angriff gezwungen, Vorwärts- und Rückwärtsbewegende behindern sich gegenseitig usw. Gefangene werden gemacht, um später für sie Lösegeld zu erzielen [2], je höher der Rang eines Gefangenen, umso weniger unangenehm sind die Bedingungen seiner Gefangenschaft, die reichsten unter ihnen dinieren am Abend mit dem König. Diejenigen, die sich als wertlos erweisen, werden nicht selten getötet. Nach der Schlacht fleddern Soldaten die Leichen gefallener Gegner. Waterloo: Auch hier wieder die historischen Hintergründe, die der Schlacht am 18. Juni 1815 voraus gegangen sind, die Aufzählung der Truppenstärken und ihrer Zusammensetzung. Im Unterschied zu Azincourt werden in Waterloo auch Distanzwaffen wie Kanonen und Musketen eingesetzt, was im Verlauf des Geschehens dazu führen sollte, dass an manchen Stellen die Sicht derart behindert war, dass Einheiten orientierungslos durch den Nebel irrten. Die auf englischer Seite kämpfenden Truppen bestanden nicht mal zur Hälfte aus Engländern, die Mehrheit bildeten belgische, deutsche und holländische Einheiten. Das Chaos während der Schlacht muss unbeschreiblich gewesen sein: Das Krachen der Kanonen, die Salven der Gewehre, Explosionen, die Schreie der Verwundeten, einige der britischen Einheiten hatten ihre eigenen Musikzüge, die während des Kampfes anfeuernde Melodien und Lieder intonierten [3]. Auch hier spielte wieder (wie wohl in jedem Krieg) Alkohol eine nicht unbedeutende Rolle, Sprachverwirrung und Kommunikationsschwierigkeiten lassen manchen taktischen Plan zunichte werden, die Verluste durch "friendly fire" sind erheblich. Da es keine Lösegeldzahlungen für Gefangene mehr gibt, gewinnt das Plündern für die Soldaten noch größere Bedeutung [4]. Auch die eigenen Offiziere werden, so sie verletzt und wehrlos sind, zu Opfern solcher Plünderungen und werden, um später nicht gegen die Plünderer aussagen zu können, getötet [5]. Am Ende des Tages meint man, die Apokalypse habe stattgefunden [6]. Somme: Der Erste Weltkrieg währte schon zwei Jahre als das britische Oberkommando mit französischer Unterstützung eine Großoffensive gegen die deutschen Stellungen durchführen ließ [7]. Sieben Tage und Nächte bombardierten Artilleriegeschütze das deutsche Schützengrabensystem, um es sturmreif zu schießen. Zusätzlich wurden Minen unter die deutschen Stellungen getrieben, die am Morgen des 1. Juli 1916, dem Tag der eigentlichen Offensive, zur Explosion gebracht wurden. Dann erhoben sich die englischen und französischen Soldaten aus ihren Gräben und liefen unter großen Verlusten in das gegnerische Maschinengewehrfeuer. Denn die Vernichtung des deutschen Verteidigungssystems war keineswegs so erfolgreich gewesen, wie man vermutet hatte. Es gelang nur vereinzelten Gruppen die deutschen Schützengräben zu erobern und für kurze Zeit zu halten. Der Plan, mit Unterstützung der britischen Artillerie (Sperrfeuer) bis zu einer bestimmten Tiefe in die deutschen Stellungen einzufallen, brach an den meisten Stellen des etwa 26 Kilometer breiten Frontabschnitts schon bald zusammen. Die Alliierten mussten sich unter schwerem Beschuss, inzwischen auch der deutschen Artillerie, zurückziehen. Die Versorgung der Verletzten oder die Bergung der vielen Toten war praktisch nicht möglich [8]. Die Kommunikation mit dem Oberkommando war problematisch (und fand teilweise per Brieftauben statt), sodass es nur zu unzureichenden Unterstützungsaktionen kam, die die Situation der an vorderster Linie kämpfenden Soldaten etwas entlastet hätte. Der Angriff wurde – trotz allem – fortgesetzt, die Zahl der Opfer überschritt das damals Vorstellbare. Die Offensive zog sich noch bis zum 18. November hin und forderte auf Seiten der Alliierten über 600.000 Opfer, ohne dass sie zu entscheidenden Stellungsvorteilen geführt hätte [9]. Keegan lässt sich in einem abschließenden Kapitel über seine Vermutungen aus, wie sich Schlachten in zukünftigen Kriegen abspielen könnten. Sein Fazit: Durch die immer größere Distanz der Gegner zueinander und durch entsprechende Ausbildungsparameter verliert der einzelne Soldat zunehmend das Gefühl, dass er Menschen tötet, wenn er Befehle ausführt. "Es gehört zu den abgefeimtesten Grausamkeiten der modernen Kriegsführung, daß sie selbst dem fähigsten und eigenwilligsten Soldaten das Gefühl seiner eigenen Nichtigkeit einhämmert und ihn dazu verführt, das Leben entwaffneter oder entnervter Gegner als ebenso unbedeutend zu behandeln." S. 385 Ich kann mich nicht erinnern, schon mal ein Buch mit derartigem Widerwillen und gleichzeitiger Faszination gelesen zu haben. Der Horror des Krieges kann kaum anschaulicher dargestellt werden. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Natürlich nur zum Besten unserer Wirtschaft und zur Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt. :-( ---------------------------- 1. "Drei Schlachten – Azincourt, Waterloo und Somme – will ich im einzelnen beschreiben, wobei meine Wahl bestimmt wurde durch die Verfügbarkeit von Material und dem Zweck meiner Darlegung, nämlich so genau wie irgend möglich zu demonstrieren, was Krieg mit handgeführter, eingeschossiger und mehrgeschossiger Waffe war (und ist) und wie und warum die Männer, die diesen Waffen entgegentreten mußten (und müssen), ihre Angst beherrschten, ihre Wunden stillten bzw. in ihren Tod gingen." S. 88 2. "Wer nicht schnell genug laufen konnte, um im Gehölz oder zwischen der Reiterei der noch immer in Bereitschaft stehenden Abteilung Unterschlupf zu finden, wurde von Kopfgeldhäschern gejagt und gestellt…" S. 124 3. "Gronow, Leeke und Standen erinnern sich an das Schlagen des pas de charge …; und in den schottischen Karrees ertönte der Dudelsack. Die 71er-Bläser spielten immer wieder »Hey, Johnnie Cope«; und Bläser McCay von den 79ern trat unter französischem Feuer aus dem Karree heraus und spielte »Cogadh na sinth«." S. 164 4. "Plündern scheint so sehr an der Tagesordnung gewesen und selbst während der Schlacht, in und vor der Feuerlinie so ausgiebig praktiziert worden zu sein …" S. 211 5. "Viele einfache Soldaten, …, schlichen sich zum Plündern weg – mehrfach berichteten verwundete britische Offiziere, sie seien ausgeraubt worden, und vielleicht gäbe es noch mehr solche Berichte, wenn die Plünderer ihre Opfer nicht zum Teil getötet hätten; …" S. 229 6. "In einer etwa fünf Quadratkilometer großen, offenen, wasserlosen, baumlosen und praktisch unbewohnten Landschaft, wo am frühen Morgen noch wogendes Korn gestanden hat, lagen bei Einbruch der Nacht die Leiber von vierzigtausend Menschen und zehntausend Pferden, von denen viele noch lebten und schlimmste Qualen litten." S. 231 7. "Die Briten sollten mit einem Dutzend Divisionen nördlich des Flusses, die Franzosen südlich mit zwanzig Divisionen angreifen." S. 252 8. "Insgesamt hatten die Briten Verluste von etwa 60.000 Mann zu beklagen, von denen 21.000 zumeist in den ersten Stunden des Angriffs und vielleicht sogar in den ersten Minuten starben." S. 304 9. "Als die Schlacht schließlich endete, waren 419.654 englische Soldaten an der Somme gefallen oder verwundet worden und fast 200.000 Franzosen." S. 333 ---------------------------- 8. November 2020 |
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