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Die Würde der Leichen Der Münchner Stadtrat hat mit großer Mehrheit und Stimmen aus allen Parteien die Absicht des Kreisverwaltungsreferats (KVR) gebilligt, die Ausstellung "Körperwelten" zu verbieten, die vom 22. Februar bis zum 15. Juni 2003 geplant war. Dort sollten etwa 25 plastinierte Körper gezeigt werden. Das Kreisverwaltungsreferat begründet das Verbot mit einem Verstoß gegen das bayrische Bestattungsrecht und einem Angriff auf die Menschenwürde der Toten und Lebenden. Im Vorfeld der Ausstellung finden solche Auseinandersetzungen regelmäßig statt und es ist einer der zu begrüßenden Nebeneffekte, dass sich Menschen in diesem Zusammenhang Gedanken über ihr Selbstverständnis als Lebende und Tote machen. Zu einem Verbot der Ausstellung hat das bislang nicht geführt. ![]() Wenige Fußminuten vom Rathaus entfernt liegt eine der ältesten Kirchen Münchens, St. Peter. In einer Seitenkapelle wird die Ganzkörperreliquie der heiligen Munditia gezeigt, der Schutzpatronin für alleinstehende Frauen. Zu sehen ist das vollständige Skelett, gekleidet in edelsteingeschmückte Brokatgewänder, aufbewahrt in einer gläsernen Vitrine. Seit mehr als 300 Jahren ist Munditia dort zu sehen, mit Ausnahme der Jahre ab 1804, als die damalige Regierung diesen "Aberglauben" nicht mehr dulden wollte. Für 70 Jahre verschwand Munditia hinter einem Holzschrein, dann wurde sie wieder den Gläubigen gezeigt. An jedem 17. November wird in St. Peter das Munditiafest mit großer Feierlichkeit begangen, der Andrang ist jedes Jahr enorm. Munditia ist eine sogenannte Katakombenheilige, kann also keine eigenen Verdienste vorweisen, die zu ihrer Heiligsprechung geführt hätten. Seit dem 16. Jahrhundert sind Katakombenheilige vorwiegend in den süddeutschen Raum aber auch in die Schweiz und nach Österreich verbracht worden. In Ermangelung einer ausreichenden Zahl echter Heiliger hat man die in den römischen Katakomben gefundenen Gebeine kurzerhand pauschal zu christlichen Märtyrern erklärt und in den Rang der Heiligkeit erhoben. Über Jahrhunderte wurde ein reger Handel mit Reliquien betrieben und noch heute vertreibt die katholische Kirche Reliquien mit Echtheitszertifikat über das Kloster Santa Lucia in der Via Selci in Rom. Knapp war die Resource Reliquie schon immer, liegt doch unter jedem Altar einer geweihten katholischen Kirche eine oder mehrere Reliquien. Und natürlich wollte jede Kirche, jede Gemeinde ihren Ruhm mehren durch die Anhäufung möglichst hochwertiger Reliquien. Niemand schien es als pietätlos oder anstößig betrachtet zu haben, dass die Leichen heilig gesprochener Menschen ausgegraben und zerstückelt worden sind und noch immer werden, um anschließend in alle Welt verschickt zu werden. Je heiliger die Reliquien, umso höher die Chance, dass sie öffentlich zur Schau gestellt werden. Schädel, Gliedmaßen, Blutstropfen, Milch aus der Brust der Gottesmutter, die Vorhäute Christi (die inzwischen leider verschollen sind), es gibt nichts, was nicht als Reliquie aufbewahrt und zu verehren ist. Vor allem Kirchen in Bayern zeichnen sich durch eine Vielzahl solcher Reliquien aus. Vielleicht sollte der Stadtrat von München sein Augenmerk darauf richten und dem Bestattungsgesetz und der Würde der Toten und der Lebenden das gebührende Recht verschaffen, indem sie dem ganzen Hokuspokus Kirche für Kirche ein Ende bereiten. Was ich schade fände. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
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