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Was ist monströs?

"Der Name Heinrich Himm­ler und auch dessen Haus hat für Mar­tin Bormann [1] eine be­son­de­re, eine be­son­ders gräu­li­che Be­deu­tung. Es war viel­leicht ein Jahr vor Kriegs­en­de, als er wie­der mal mit seiner Mutter und der Schwes­ter dort zu Be­such war. Und plötzlich sag­te ganz feierlich Hed­wig Pott­hast [2], Himmlers Sekretärin und Ge­lieb­te, sie möch­te ihnen nun et­was sehr In­te­res­san­tes vor­füh­ren, eine sehr eigene Samm­lung ihres Chefs. Sie ging hinauf in das Dach­ge­schoss und öff­ne­te einen Raum. Da stan­den Tische und Stüh­le, gemacht aus Tei­len mensch­li­cher Körper. Bei ei­nem Stuhl war die Sitz­flä­che ein be­ar­bei­te­ter Be­cken­kno­chen, bei ei­nem an­de­ren wa­ren die Stuhl­bei­ne aus Men­schen­bei­nen samt Men­schen­fuß. Dann zeig­te Frau Pott­hast eine Ausgabe von Mein Kampf, gebunden aus der Haut eines mensch­lichen Rü­ckens. Bor­mann er­in­nert sich noch wie heu­te, wie medi­zi­nisch-­nüch­tern sie das alles er­klär­te. Wie ge­schockt und ver­stei­nert er und sei­ne Schwes­ter wa­ren und wie die eben­falls ver­stör­te Mut­ter drau­ßen sie dann ver­such­te zu trös­ten, mit dem Hinweis, dass Himm­ler ihrem Va­ter, dem Se­ni­or-Bor­mann [3], eine sol­che Mein-­Kampf-­Aus­ga­be schicken wollte und er dies entsetzt abgelehnt ha­be. Das war ihm zu­viel, wirk­lich, sagte die Mut­ter."

Norbert und Stephan Lebert: Denn Du trägst mei­nen Na­men. Das schwere Erbe der pro­mi­nen­ten Nazi-Kin­der. Wil­helm Gold­mann Verlag, Mün­chen 2002, S. 102f

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1. Adolf Martin Bormann (1930 – 2013), ältester Sohn Mar­tin Bor­manns, der 1946 im Nürn­ber­ger Prozess ge­gen die Haupt­kriegs­verbrecher in Abwe­sen­heit zum To­de verurteilt wor­den ist. Er trat später dem Or­den der Herz-Jesu-Missionare bei und ist einer der wenigen Kin­der von Haupt­nazi­tätern, die sich kritisch mit ihren Eltern aus­ein­an­der gesetzt haben. Seit 1987 gehörte er der Grup­pe Täterkinder – Opfer­kinder an, die von Prof. Dan Bar-On ge­lei­tet wurde. Veröffentlicht hat Bor­mann seine Le­bens­er­in­ne­run­gen unter dem Titel "Leben ge­gen Schat­ten" (Bonifatius Ver­lag 1996, ISBN 3-87088-901-2).

2. Hedwig Potthast (1912 – 1994) hatte 2 Kinder mit Himm­ler. Der oben zitierte Text be­legt, dass sie von den Gräuel­ta­ten ihres Ge­lieb­ten wusste.

3. Martin Bormann, Pri­vat­se­kre­tär Hitlers und zweit­mäch­tigster Mann im national­so­zialistischen Staat. Nach Kriegs­ende blieb Bor­mann zu­nächst un­auf­find­bar, erst 1998 konnte anhand ei­ner DNS-Analyse ein 1972 bei Bau­ar­bei­ten in Berlin ge­fun­de­nes Skelett ein­deu­tig ihm zu­ge­wie­sen werden.

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28. Oktober 2005

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