Kassiber | ![]() |
||||
|
|||||
Die namenlose Erzählerin hat gelernt mit ihrer Schlaflosigkeit umzugehen. Statt sich rastlos im Bett herumzuwälzen und die Stunden zu zählen, geht sie in die Küche und backt Kuchen. Während ein Stockwerk über ihr ein Mann schläft, der auf ihre Kontaktanzeige reagiert hatte und den sie am Morgen des Tages vom Bahnhof abgeholt hatte, bereitet sie alles vor. Erinnerungen begleiten ihre routinierten Abläufe, Gedanken und unbeantwortete Fragen stellen sich ein, vor allem die nach dem Motiv für den unerwarteten Suizid ihres Mannes. Der hatte sich nach 14-monatiger Ehe in dem Gewächshaus, in dem er mit neuartigen Methoden des Anbaus experimentierte, völlig überraschend das Leben genommen. Indem die Erzählerin den Beginn ihrer Beziehung zu Ton, ihrem Mann, rekonstruiert, forscht sie nach unbemerkten Schatten, nach Spuren, die eine Erklärung ermöglichen würden. Dabei entstehen nicht selten Diskrepanzen durch die sachliche Art der Beschreibung von intensiven und emotional aufgeladenen Momenten. Hier erzählt eine Dritte, eine Beobachterin, die Geschichte eines Paares und einer Überlebenden. Die Fragen, die sie stellt, die sich ihr stellen, sind eher detektivischer Natur als solche aus Betroffenheit. Der Tod ihres Mannes, die Spontaneität ihres Kennenlernens, die Nächte mit Männern, die auf ihre Anzeigen reagieren und die rein sexuellen Charakter haben, all das klingt gelegentlich wie das Protokoll einer Vernehmung oder Zeugenaussage. Und so mäandern die Gedanken der Erzählerin durch eine schlaflose Nacht, alles bleibt in der Schwebe, nichts löst sich auf, es wird nicht die letzte dieser Nächte gewesen sein. Die Novelle erschien zuerst 1994 unter dem Titel "Auf den ersten Blick" und liegt hier in einer von der Autorin revidierten und neu übersetzten Ausgabe vor. Margriet de Moor (*1941) gilt als eine der renommiertesten Autor*innen der Niederlande, sie wurde mehrfach ausgezeichnet. ---------------------------- 18. März 2024 |
|||||
Gelesen : Weiteres : Impressum |