Kassiber | |||||
|
|||||
Vladimir Nabokov Der Band enthält 22 Interviews, 11 zum Teil sehr umfangreiche Leserbriefe, 9 Aufsätze und 5 lepidopterologische (Schmetterlinge betreffende) Schriften. Außerdem ein Nachwort des Herausgebers Dieter E. Zimmer sowie, als Anhang, einen Artikel von Edmund Wilson über die Übersetzung von Puschkins 'Eugen Onegin' durch Nabokov, auf den in den Interviews und Leserbriefen mehrfach eingegangen wird. Der erste Satz in Nabokovs Vorwort zu dem Band lautet: "Ich denke wie ein Genie, ich schreibe wie ein Schriftsteller von Rang, und ich rede wie ein kleines Kind." So begründet er das eigenwillige Procedere, zu dem sich Interviewer bereit erklären müssen, bevor sie dem Meister gegenüber treten dürfen: Die Fragen werden schriftlich eingereicht, Nabokov beantwortet sie schriftlich, die Interviewer verpflichten sich, nichts an den Aussagen Nabokovs zu verändern. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen gemacht und wollte Ähnliches fortan vermeiden [1]). Ich stelle mir die Szene vor: In einem Sessel sitzt der Interviewer mit seinen Fragen, ihm gegenüber (oder seitlich versetzt? Nabokov hätte das sicher ganz genau wissen wollen und sich vorher vielleicht sogar eine Skizze von der Anordnung der Möbel und der anwesenden Personen gemacht...) Nabokov mit seinen Antworten. Man liest sich wechselseitig vor und verabschiedet sich wieder. Werden Getränke serviert (wenn ja, welche?), sind Fotografen, Kameraleute anwesend, Nabokovs Frau Vera vielleicht? Werden Hände geschüttelt, lächelt man sich zu oder geht das Ganze in geschäftsmäßiger Eile vonstatten? Als Leser/in erfährt man nichts davon. Nabokov wäre als Rezensent derartiger Veröffentlichungen ohne konkrete Beschreibung des Tableaus sicher verärgert gewesen. Nabokov spricht über seine Lebensstationen (geboren im zaristischen Russland, Exil in London und Berlin, Aufenthalt in Frankreich, Übersiedelung in die USA, Lebensabend in Montreux in der Schweiz), die Schwierigkeiten beim Sprachwechsel vom Russischen ins Englische, seine Leidenschaft für Schmetterlinge, er verweist auf Besonderheiten seines Werks und beschreibt seinen Arbeitsstil. Er erklärt sein methodisches Vorgehen beim Lesen fremder Werke (siehe oben), benennt seine bevorzugten Autoren (Borges, Joyce, eigentlich aber doch nur den 'Ulysses', Kafkas 'Verwandlung', Belyjs 'Petersburg' und die erste Hälfte von Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit', Mandelstam. Aktuelle amerikanische Autoren: Salinger und Updike.) und solche, die er verachtet bzw. für überschätzt hält (Thomas Mann, Galsworthy, Dreiser, Tagore, Gorkij, Romain Rolland, Pasternak, Faulkner [2]). Die abgedruckten Leserbriefe waren Reaktionen auf Zeitschriftenartikel, in denen er sich missverstanden oder falsch interpretiert fühlte. Es ist deutlich zu spüren, wie sehr es ihn ärgert, wenn Rezensenten Parallelen zu anderen Autoren ziehen, ihm gar unterstellen von einigen in seinem Stil beeinflusst gewesen zu sein. Bis in kleinste Details korrigiert er Journalisten, um ihre Ahnungslosigkeit oder Unfähigkeit nachzuweisen. An vielen Stellen wirkt das kleinkrämerisch und wenig souverän. Wie übrigens auch seine fast zwanghaft anmutende häufige Herabsetzung der Psychoanalyse und ihres Begründers Sigmund Freud. In den 9 Aufsätzen reflektiert Nabokov die Veränderungen in der russischen Literatur seit der Zeitenwende durch die Oktoberrevolution, pulverisiert die Kritik Edmund Wilsons an seiner Übersetzung des Eugen Onegin und breitet ausführlich seine Fehde mit dem ersten Verleger von 'Lolita', Maurice Girodias von Olympia Press, aus. Nebenbei entsteht dabei die Editionsgeschichte seines ersten großen literarischen Erfolgs. [3] Dass Vladimir Nabokov einer der größten Autoren des 20. Jahrhunderts gewesen ist, daran dürfte kaum ein Zweifel bestehen. Dass er, zumindest zeitweise (böse Zungen behaupten: immer) blasiert und arrogant gewesen ist, ist mir durch diesen Band klar geworden, der – wie nicht anders von einem "Schriftsteller von Rang" zu erwarten ist – Sätze enthält, für die man auf die Knie sinken müsste, andererseits aber auch durch die häufigen Wiederholungen ähnlich formulierter Statements durchaus Ermüdungen spürt. ---------------------------- 1. "Tatsächlich hatte er Journalisten im Laufe der Jahre schon an die vierzig «normale» Interviews gegeben, als er 1962 begann, seine Antworten vorher schriftlich zu fixieren und ihre wörtliche Wiedergabe zur Bedingung zu machen. Der Hauptauslöser für diesen Sinneswandel war mehrfacher Ärger über das, was er nach improvisierten Interviews zu lesen bekam." S. 516 (Aus dem Nachwort des Herausgebers Dieter E. Zimmer) 2. "Seit den Zeiten, wo solche Musterexemplare von Mittelmäßigkeit wie Galsworthy, Dreiser, ein Mensch namens Tagore, ein anderer namens Maxim Gorkkij und ein dritter namens Romain Rolland allgemein als Genies gehandelt wurden, bin ich aus der Verblüffung und Erheiterung angesichts der begrifflichen Falschmünzerei um die sogenannten «großen Bücher» nicht herausgekommen. Daß man beispielsweise Thomas Manns Eselei vom Tod in Venedig oder Pasternaks melodramatischen und miserabel geschriebenen Doktor Schiwago oder Faulkners hinterwäldlerische Heimatchroniken für «Meisterwerke» halten kann – oder zumindest für das, was nach der Sprachregelung der Zeitungsschreiber «große Bücher» heißt –, erscheint mir als der gleiche abstruse Wahn, wie wenn ein Hypnotisierter einen Sessel begattet." S. 97 (Aus einem Interview für das Kulturprogramm Television 13 aus New York) 3. ab Seite 415 ---------------------------- 14. November 2022 |
|||||
Gelesen : Weiteres : Impressum |