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Fernando Pessoa Boca do Inferno. Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal Fernando Pessoa
Boca do Inferno. Aleister Crowleys Ver­schwin­den in Por­tu­gal.
Aus dem Englischen und Por­tu­gie­sischen herausgegeben, über­setzt und kommentiert von Steffen Dix.
S. Fischer Verlag 2012, 391 Sei­ten
ISBN 978-3-10-060829-1

Fernando Pessoa (1888 – 1935) war pas­si­o­nier­ter As­tro­lo­ge. Er er­stell­te Horoskope für Per­so­nen, In­sti­tu­tio­nen, Un­ter­neh­mun­gen und man­ches mehr. Auf die­se Weise ge­riet er in Kon­takt mit dem be­rüch­tig­ten englischen Ma­gier Aleister Crowley (1875 – 1947), den er auf einen Feh­ler in sei­nem Ho­ros­kop hin­wies. Das führte zu einer Kor­res­pon­denz, die mit dem Tref­fen der beiden im Jahr 1930 in Por­tu­gal ihren Höhepunkt fand. Crowley war mit sei­ner ak­tu­el­len Ge­lieb­ten, der 19-jäh­ri­gen Han­ni Jae­ger (1911 – 1932?), unter­wegs und sah in Pes­soa einen Bru­der im Geis­te. Nach ei­nem be­son­ders hef­ti­gen Streit verließ Henni Jae­ger den 54-jäh­ri­gen Ma­gier und reiste zu­rück nach Deutsch­land.

Wenige Tage danach fin­det ein mit Pessoa be­freun­de­ter Jour­na­list in der Nähe des "Höl­len­schlun­des" (Boca do In­fer­no) ei­ne kryptische Nach­richt, die sich Aleister Crowley zu­ord­nen lässt und als Ab­schieds­brief interpretiert wird. Bo­ca do In­fer­no ist ei­ne Grot­te, die durch den Einsturz ei­nes Fel­sens ent­stan­den ist, vom Meer umtost. Im­mer wie­der haben sich dort Men­schen das Le­ben ge­nom­men, meist wer­den ihre Lei­chen ins Meer ge­trie­ben und blei­ben ver­schol­len. Ist das auch das Schick­sal des Aleister Crow­ley?

Zeitungen berichten da­rü­ber, die Polizei nimmt Er­mitt­lun­gen auf, be­fragt Zeugen. Pes­soa selbst sagt aus, dass er mit ziem­licher Si­cher­heit Crow­ley noch einen oder zwei Ta­ge nach sei­nem ver­meint­li­chen Sui­zid gesehen habe, Er­mitt­lun­gen er­ge­ben, dass ein Mann mit sei­nem Pass die Gren­ze nach Spanien über­schrit­ten hat. War es Crow­ley oder je­mand, der seinen Aus­weis be­nutz­te, die Kon­trol­len an der Gren­ze sollen eher ober­fläch­lich ge­hand­habt wer­den. Und dann taucht noch ein De­tek­tiv aus England auf, der sich da­ran macht, die Spu­ren zu verfolgen, um Licht in das Ge­sche­hen zu bringen. Steht der Mord an einem Taxi­fah­rer in irgend ei­ner Ver­bin­dung zu Crowleys Ver­schwin­den? Die Sa­che wird im­mer un­durch­schau­ba­rer.

Steffen Dix, der He­raus­ge­ber der Werkausgabe Fer­nan­do Pes­soas, ver­öf­fent­licht erst­mals die Ori­gi­nal­do­ku­men­te, die Licht ins Dunkel um das Ver­schwin­den des Aleister Crow­ley brin­gen können: In chro­no­lo­gischer Reihenfolge die erhalten ge­blie­be­ne Kor­res­pon­denz zwi­schen Pes­soa, Crowley und Ver­tre­tern des eng­li­schen Verlags, in dem da­mals Crowleys Schrif­ten er­schie­nen sind. Zei­tungs­ar­ti­kel, Brief­wech­sel mit Karl Ger­mer (einem Ver­trau­ten Crow­leys in Berlin) und Hen­ni Jae­ger, In­ter­views, Gedichte und am En­de den Bericht des De­tek­tivs, in dem er die Er­geb­nis­se seiner Er­mitt­lun­gen nie­der­ge­legt hat. Kommentiert und er­läu­tert von Steffen Dix, der man­che Hin­ter­grün­de und Ver­bin­dun­gen er­läu­tert.

Zutage tritt ein Jux und Ver­wirr­spiel, an dem – zu­min­dest an­fangs – Pes­soa und Crow­ley ih­re Freu­de gehabt ha­ben. Die Pres­se be­rich­tet, Freunde und An­hän­ger Crowleys be­fürch­ten das Schlimms­te, wäh­rend die­ser sich in Ber­lin wie­der mit Hen­ni Jae­ger ver­söhnt hat und sie ihren se­xu­al­ma­gi­schen Ex­zes­sen nach­ge­hen. Pessoa hin­ge­gen be­rei­tet einen Text zur Ver­öf­fent­li­chung vor, in dem der eng­li­sche De­tek­tiv (der nie­mand an­de­res ist als Pessoa selbst) sei­ne Version des Ge­sche­hens dar­legt. Es wird nie dazu kom­men, erst mit der hier be­spro­che­nen Aus­ga­be werden die ver­schie­de­nen Ver­su­che Pes­soas, das Thema in den li­te­ra­ri­schen Griff zu be­kom­men, der in­te­res­sier­ten Öf­fent­lich­keit vor­ge­legt. Crowley und Pessoa entfremden sich mit der Zeit, Henni Jae­ger wird – wie so viele Frau­en, die in den Bann des Magiers ge­ra­ten wa­ren – sich nicht sehr viel später das Leben neh­men. Eine un­ge­wöhn­liche und (mich) fas­zi­nie­ren­de Lek­tü­re.

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5. September 2023

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