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Hans Scherer (1938 – 1998) war ab 1973 Redakteur und Kulturkorrespondent der FAZ. Er bereiste als junger Mann zum ersten Mal die Côte d'Azur und die Gerüche und Farben dieses Frühlings ließen ihn seither nicht mehr los. Die Blüten, das Meer, das überhelle Licht, die gesamte Atmosphäre dieser Küste mit ihren Städten und Bewohnern waren ihm immer wieder Anlass für längere und kürzere Aufenthalte, häufig arbeitend, immer wieder auch zur reinen Entspannung. Jahrzehnte, in denen er die Kultur und Geschichte dieses südlichsten Teils der Provence kennen lernte und studierte. In Teilen mal zu Frankreich, mal zu Italien gehörend unterlag und unterliegt die Gegend den künstlerischen und architektonischen Einflüssen beider Länder. Scherer beschreibt die Entwicklung der Orte von Marseille bis nach Monaco in den letzten Jahrzehnten, fügt historische Exkurse ein, gibt Auskunft über örtliche Besonderheiten und legt gesteigerten Wert auf die Künstler und ihre Werke, die hier tätig waren und was davon in Museen oder an Gebäuden noch zu sehen ist. Picasso in Vallauris, wo er sich zwei Jahre lang der Töpferei hingab, Impressionisten wie Cézanne, Renoir, Monet, die mit dem Licht kämpften, das hier so viel heller erscheint, und ein Exkurs über Van Gogh, der in der Provence die "Sternennacht" malte und einige Zeit in einer psychiatrischen Anstalt zubrachte. Später dann Matisse, Bonnard, Chagall und nach dem 2. Weltkrieg unter anderem Fernand Léger und Yves Klein. Eine literarische Côte d'Azur hat es allerdings kaum gegeben, wenn auch viele Autoren hier logiert haben (z.B. Nietzsche in Nizza) oder ihre letzte Ruhe gefunden haben: Klaus Mann in Cannes. Während des 2. Weltkriegs war die Côte d'Azur für viele ins Exil Gezwungene das Tor zur freien Welt. Die vor Cannes liegenden Inseln, in jeder Hinsicht ein Kontrast zur Stadt selbst, mit dem Kloster des Mönchs Honoratius, der sich als Eremit schon um 400 nach Chr. hier niederließ. Die große Festung auf der Ile Sainte-Marguerite, die über Jahrhunderte als Staatsgefängnis benutzt wurde und deren prominentester Gefangener der "Mann mit der eisernen Maske" gewesen ist, über dessen Identität noch heute nur spekuliert werden kann. Eine Bahnfahrt, die Scherer nach Digne brachte mit seinem Denkmal für den Theologen, Naturwissenschaftler und Philosophen Pierre Gassendi (1592 – 1655) und wo Alexandra David-Neel ihren Lebensabend verbrachte und starb. Villefranche, wo Cocteau die Kapelle Saint-Priere innen und außen bemalte. Monaco mit seiner wechselvollen Geschichte und Nizza und Cannes und und und. Aber nicht nur die Strandpromenaden, nicht nur die touristischen Sehenswürdigkeiten und prominenten Namen finden sein Interesse. Auch die Gassen und Plätze jenseits der Touristenströme beschreibt Scherer mit viel Einfühlungsvermögen und Detailkenntnis. Der Käseladen mit den 380 Sorten Käse, das Bistro, in denen Einwanderer aus Nordafrika ihren Kaffee trinken, die blühenden Hänge über den Orten, der Duft und immer wieder das Licht über dem Meer. Das sind Scherers Stärken, die atmosphärischen Beschreibungen von Landschaften, von Beobachtungen und Eindrücken, die man nur aus einer entspannten Sinneswahrnehmung gewinnen kann. Das Buch ist im Todesjahr Scherers erschienen und ist als Reiseführer sicher ungeeignet. Es sind Erinnerungen, Impressionen, Berichte und das Wissen um die Hintergründe, die sich zu einem Kulturpanorama vermischen, das eine wertvolle Lektüre für den Reisenden der Gegenwart darstellt. Ein leichtes, ein luftiges Werk, das Sehnsucht und Reminiszenz in sich vereint. ---------------------------- 28. Oktober 2020 → Reisen |
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