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Jutta Seidel Das "Sonderkommando Dirlewanger" war eine Einheit der Waffen-SS, die anfänglich vor allem aus verurteilten Wilddieben bestand. Später wurden auch Mitglieder der SS und der Wehrmacht "zur Bewährung" aufgenommen, die einer Straftat überführt worden waren oder sich schwere disziplinarische Vergehen hatten zuschulden kommen lassen. Benannt nach dem Obersturmführer Oskar Dirlewanger, wurde das Sonderkommando zur Überwachung jüdischer Arbeitslager, ab Februar 1942 dann zur Partisanenbekämpfung in Weißrussland eingesetzt. Die Truppe war für ihr extrem brutales Vorgehen berüchtigt und spielte bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 eine Rolle, ihr sind zahllose Kriegsverbrechen zuzurechnen. Dirlewanger (1895 – 1945) selbst hatte wegen der Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens zwei Jahre im Zuchthaus gesessen und wurde später noch mehrmals wegen verschiedener Delikte verurteilt. Verluste in den Reihen des Sonderkommandos wurden durch kriminelle oder als asozial eingestufte Häftlinge aus Konzentrationslagern kompensiert. Später ging man sogar dazu über politische Häftlinge aus Konzentrationslagern zu rekrutieren. Den Kommandanten verschiedener Lager wurden Anforderungslisten ausgehändigt, sie sollten insgesamt ca. 900 politische Häftlinge zur Verfügung Dirlewangers bereit stellen. Unter den Häftlingen gab es unterschiedliche Positionen dazu. Ein Teil wollte sich rekrutieren lassen, um anschließend die Waffen gegen die SS zu richten oder um zu desertieren und sich der Roten Armee oder den Partisanen anzuschließen. Andere argumentierten vehement gegen diese Haltung und warfen deren Vertretern vor, den antifaschistischen Widerstand dadurch zu diskreditieren. Schließlich waren es knapp 800 Häftlinge, die vor allem in der 9. und der 12. Kompanie zusammengefasst wurden. Als sie im Dezember 1944 zu ihrem ersten Fronteinsatz kamen, versuchten sie geschlossen zu den ihnen gegenüber liegenden Einheiten der Roten Armee überzulaufen. Dabei gerieten sie ins Kreuzfeuer der SS einerseits, die die Desertion verhindern wollte, und der Roten Armee andererseits, die die Aktion als Finte der SS betrachtete. Hans-Peter Klausch beschreibt die Dramatik dieser Situation sehr anschaulich in seinem lesenswerten Buch "Antifaschisten in SS-Uniform" (Edition Temmen 1993). Der Übertritt gelang nicht allen und nicht auf Anhieb. Nach mehreren Versuchen konnten sich in den nächsten Tagen etwa 500 Männer in die Unterstände der Roten Armee retten, der Rest starb bei dem Versuch. Das Schicksal der Überlebenden war nicht einheitlich. Während einige den Propagandaeinheiten der Roten Armee zugewiesen wurden, gelangten andere in sowjetische Gefangenschaft und wurden vor allem als Mitglieder der SS wahrgenommen und nicht als antifaschistische Kämpfer, entsprechend war ihre Behandlung. Auch nach dem Krieg gab es – vor allem in der DDR – lange Auseinandersetzungen um den Status dieser Überlebenden. Nachdem es schließlich eine weitgehende Übereinstimmung darin gegeben hatte, diese Menschen als Opfer des Nationalsozialismus und als Kämpfer gegen den Faschismus einzuordnen, wurden weitere Debatten zu diesem Thema als unerwünscht beendet. Jutta Seidel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Sturmbrigade und der Person Dirlewangers, schildert die Vorgänge um die Rekrutierung der Antifaschisten für die Sturmbrigade Dirlewanger, die in den Lagern stattgefunden haben, und analysiert die Haltung von DDR-Funktionären nach dem Krieg. Die Argumente der Betroffenen selbst – Befürworter und Gegner der Rekrutierung – werden dargestellt. Darüber hinaus beschreibt sie die Schicksale einiger Leipziger Antifaschisten (fast alle Kommunisten), die in die Ereignisse verwickelt waren. Jutta Seidel (1931 – 2017) lehrte über 20 Jahre an der Leipziger Universität. Ihr Forschungsgebiet war die Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. ---------------------------- 10. Februar 2024 |
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