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Ronald K. Siegel Halluzinationen Ronald K. Siegel:
Halluzinationen. Ex­pe­di­tion in eine an­de­re Wirk­lich­keit.
Aus dem Amerikanischen von Gün­ther Pans­ke.
Eichborn Verlag 1995, 266 Seiten, ISBN 3821804416

„Halluzinationen“ ist ein po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­ches Werk des Psy­cho­lo­gen und Psy­cho­phar­ma­ko­lo­gen Ro­nald K. Sie­gel. An­hand von 17 Fall­ge­schich­ten un­ter­sucht er Hal­lu­zi­na­tio­nen, die aus ganz un­ter­schied­li­chen Kon­tex­ten stam­men: Dro­gen­kon­sum, sen­so­ri­sche De­pri­va­tion, Träu­me, Trau­ma­ta, Nah­tod­er­fah­run­gen, Stress, Angst und mehr. Er kom­bi­niert kli­ni­sche Er­leb­nis­se mit ei­ge­nen Er­fah­run­gen und ex­pe­ri­men­tel­len Be­ob­ach­tun­gen, um zu ver­ste­hen, wie das Ge­hirn hal­lu­zi­na­to­ri­sche Ein­drü­cke er­zeugt.

Siegel interessiert sich be­son­ders für die Ge­mein­sam­kei­ten zwi­schen den ver­schie­de­nen Aus­lö­sern: Wel­che Mus­ter, Emo­tio­nen und Wahr­neh­mungs­ver­zer­run­gen sind ähn­lich – egal ob durch LSD, Fol­ter oder Nah­tod­er­fah­run­gen aus­ge­löst? Das Buch ist da­her so­wohl eine Samm­lung von Fall­ge­schich­ten als auch ein Ver­such, eine „Land­kar­te“ der hal­lu­zi­na­to­ri­schen Welt zu zeich­nen.

Durch die Dar­stel­lung von Hal­lu­zi­na­tio­nen aus ver­schie­de­nen Le­bens­si­tua­tio­nen – nicht nur Krank­heit oder Dro­gen – wird klar, dass es sich nicht um ein rein pa­tho­lo­gi­sches Phä­no­men han­delt. Hal­lu­zi­na­tio­nen sind nicht ein­fach „Ein­bil­dung“ son­dern rea­le Er­leb­nis­se für die Be­trof­fe­nen – sie be­ru­hen auf kon­kre­ten neu­ro­bio­lo­gi­schen Pro­zes­sen. Sie­gel zeigt, dass hal­lu­zi­na­to­ri­sche Er­leb­nis­se ein uni­ver­sel­les mensch­li­ches Po­ten­zial sind, das in man­che Kul­tu­ren fest ein­ge­bun­den ist. Er nahm selbst an ent­spre­chen­den Ri­ten in Me­xi­ko teil, in de­ren Ver­lauf Pey­o­te als Ein­stieg zu ei­ner „an­de­ren Wirk­lich­keit“ ein­ge­setzt wird.

Irritierend: Eine Hal­lu­zi­na­tion, die bei Sie­gel und ei­ni­gen Pro­ban­den wäh­rend ei­ner In­to­xi­ka­tion mit Can­na­bis auf­tauch­te, be­stand aus ei­ner schwar­zen Wand, auf der meh­re­re Au­gen plat­ziert wa­ren. Da­von aus­ge­hend, dass es sich um eine un­be­wuss­te Re­ak­tion auf eine zu­rück­lie­gen­de Wahr­neh­mung ge­han­delt ha­ben könn­te, lässt Spie­gel sei­ne Mit­ar­bei­ter nach ent­spre­chen­den Dar­stel­lun­gen su­chen. Er­folg­los. Dass sich nie­mand an Hitch­cocks „Spell­bound“ er­in­nern konn­te, in dem ge­nau eine sol­che Dar­stel­lung (von Sal­va­dor Dali) in ei­ner Traum­se­quenz zu se­hen ist, er­scheint merk­wür­dig. Zu­mal Spie­gel so­wohl Hitch­cock als auch Dali an an­de­rer Stel­le im Buch er­wähnt und mit de­ren Werk ver­traut zu sein scheint.

Fazit: Der Ein­druck, dass das Buch seine Ent­ste­hung zu ei­nem nicht ge­rin­gen Teil dem Er­folg ähn­lich struk­tu­rier­ter Ver­öf­fent­li­chun­gen von Oli­ver Sacks zu ver­dan­ken hat, ist si­cher nicht all­zu ab­we­gig. Mei­nem Ge­schmack wäre es ent­ge­gen­ge­kom­men, wenn der An­teil des Wis­sen­schaft­li­chen ge­gen­über dem Po­pu­lä­ren et­was hö­her ge­we­sen wäre.


13. Oktober 2025

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