Kassiber | |||||
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Henning Sietz Am 27. März 1952 werden in München zwei Jungen, 12- und 13-jährig, von einem unbekannten Mann angesprochen, der sie bittet ein Paket bei der Post abzugeben, er selbst habe leider keine Zeit. Die Jungs bemerken auf dem Weg zur Post, dass der Mann ihnen folgt und entscheiden sich, das Paket zur Polizei zu bringen. Adressiert ist die Sendung an Dr. Konrad Adenauer, den damaligen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der Absender stellt sich später als ahnungslos heraus. Vorsichtshalber wird ein Sprengmeister gerufen, der das Paket öffnen soll. Er wird bei dem Versuch durch eine Explosion getötet. Henning Sietz begibt sich Jahrzehnte danach auf eine Suche nach den Hintergründen für dieses Attentat, befragt Personen, die an den damaligen Ermittlungen beteiligt waren und erhält Einblick in Akten verschiedener Dienste. Spuren führen in die unüberschaubare Szene entwurzelter Menschen, Überlebende der Konzentrationslager, displaced persons, Traumatisierte, deren Familien in der Shoah ermordet wurden. Anlass für den Anschlag waren Verhandlungen zwischen der westdeutschen Regierung, Israel und der Jewish Claims Conference über eine materielle "Wiedergutmachung" für die im Nationalsozialismus an Juden begangenen Verbrechen, die am 21. März 1952 in Wassenaar (in der Nähe von Den Haag) begonnen hatten. Die Bundesrepublik erlebte daraufhin eine Welle antisemitischer Empörung, aber auch weite Teile der israelischen Öffentlichkeit und der jüdischen Diaspora lehnten Verhandlungen mit dem Land der Mörder ab. Die Situation war komplex: Der Staat Israel stand vor dem Bankrott, militärische Aufrüstung und eine massenhafte Einwanderung hatten die Mittel des Landes erschöpft. Gleichzeitig war die BRD darauf angewiesen, wieder Teil der internationalen Gemeinschaft zu werden, nicht zuletzt, um die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Adenauer und Nahum Goldmann (der Leiter der Delegation der Jewish Claims Conference) hatten bei einem persönlichen Gespräch Absprachen getroffen, die in den Verhandlungen modifiziert werden sollten. Zwei weitere Briefbomben an die Leiter der deutschen Delegation konnten rechtzeitig entschärft werden. Der Verdacht richtete sich zunehmend gegen ehemalige Mitglieder jüdischer Untergrundorganisationen, die vor allem in Palästina im Kampf gegen die britische Mandatsmacht aktiv gewesen waren [1], aber auch in Europa, vor allem in DP-Lagern [2], ihre Rekrutierung betrieben hatten. Fatal: Deutsche Sicherheitsbehörden beschäftigten eine große Anzahl ehemaliger SS-Mitglieder, darunter auch einige, die zuvor für das RSHA (Reichssicherheitshauptamt) tätig gewesen waren, das maßgeblich an der Organisation des Holocaust beteiligt war. Es kommt zu Durchsuchungen, Verhören, Festnahmen, eine eindeutige Identifizierung der Täter misslingt jedoch. Sietz formuliert die These, dass es sowohl im Interesse Adenauers als auch David Ben-Gurions (der damalige Premierminister Israels) gewesen sei, weitere Nachforschungen zu unterlassen, um die Beziehungen zwischen beiden Ländern nicht weiter zu belasten. 1978 wurden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. ---------------------------- 1. Nach der Gründung Israels gingen diese Organisationen (Haganah, Irgun, Lechi) in der israelischen Armee auf. 2. DP= Displaced Persons ---------------------------- 31. Oktober 2022 |
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