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Autoren Glossen Lyrik

Sietz Attentat Adenauer Henning Sietz
Attentat auf Ade­nauer.
Die geheime Ge­schich­te ei­nes po­li­ti­schen Anschlags.
Siedler Verlag 2003, 334 Sei­ten
ISBN 3-88680-800-9

Am 27. März 1952 wer­den in Mün­chen zwei Jun­gen, 12- und 13-jäh­rig, von ei­nem un­be­kann­ten Mann an­ge­spro­chen, der sie bit­tet ein Pa­ket bei der Post ab­zu­ge­ben, er selbst ha­be lei­der kei­ne Zeit. Die Jungs be­mer­ken auf dem Weg zur Post, dass der Mann ih­nen folgt und ent­schei­den sich, das Pa­ket zur Po­li­zei zu brin­gen.

Adressiert ist die Sen­dung an Dr. Konrad Ade­nauer, den da­ma­li­gen Kanzler der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, der Ab­sen­der stellt sich später als ah­nungs­los heraus. Vor­sichts­hal­ber wird ein Spreng­meister gerufen, der das Pa­ket öffnen soll. Er wird bei dem Versuch durch eine Ex­plo­sion getötet.

Henning Sietz begibt sich Jahr­zehnte danach auf ei­ne Su­che nach den Hinter­grün­den für dieses At­ten­tat, be­fragt Per­so­nen, die an den da­ma­li­gen Ermittlungen be­tei­ligt waren und er­hält Ein­blick in Akten verschiedener Diens­te. Spuren füh­ren in die un­über­schau­ba­re Szene ent­wur­zel­ter Men­schen, Über­le­ben­de der Kon­zen­tra­tions­la­ger, dis­placed per­sons, Trau­ma­ti­sier­te, deren Fa­mi­lien in der Shoah er­mor­det wur­den.

Anlass für den Anschlag wa­ren Verhandlungen zwi­schen der west­deutschen Re­gie­rung, Is­rael und der Jewish Claims Conference über eine ma­te­rielle "Wie­der­gut­ma­chung" für die im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus an Juden be­gan­ge­nen Ver­bre­chen, die am 21. März 1952 in Was­se­naar (in der Nähe von Den Haag) be­gon­nen hatten. Die Bun­des­re­pu­blik erlebte daraufhin eine Wel­le an­ti­se­mi­ti­scher Em­pö­rung, aber auch weite Teile der is­rae­li­schen Öffentlichkeit und der jüdischen Dia­spo­ra lehnten Ver­hand­lun­gen mit dem Land der Mörder ab.

Die Situation war kom­plex: Der Staat Israel stand vor dem Bank­rott, militärische Auf­rüs­tung und eine mas­sen­haf­te Ein­wan­de­rung hatten die Mit­tel des Landes er­schöpft. Gleich­zei­tig war die BRD darauf angewiesen, wieder Teil der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft zu werden, nicht zuletzt, um die ei­ge­ne wirt­schaft­liche Si­tua­tion zu ver­bes­sern. Adenauer und Na­hum Gold­mann (der Lei­ter der Delegation der Jewish Claims Con­fe­rence) hatten bei einem persönlichen Ge­spräch Ab­spra­chen ge­trof­fen, die in den Ver­hand­lun­gen mo­di­fi­ziert wer­den soll­ten. Zwei weitere Brief­bom­ben an die Leiter der deut­schen De­le­ga­tion konn­ten recht­zeitig ent­schärft wer­den.

Der Verdacht richtete sich zu­neh­mend gegen ehe­ma­li­ge Mit­glie­der jüdischer Un­ter­grund­or­ga­ni­sationen, die vor al­lem in Pa­läs­ti­na im Kampf ge­gen die bri­ti­sche Man­dats­macht ak­tiv ge­we­sen waren [1], aber auch in Europa, vor allem in DP-La­gern [2], ihre Re­krutierung betrieben hat­ten. Fatal: Deut­sche Si­cher­heits­be­hör­den be­schäf­tig­ten eine große An­zahl ehe­ma­li­ger SS-Mit­glie­der, da­run­ter auch ei­ni­ge, die zu­vor für das RSHA (Reichs­si­cher­heits­haupt­amt) tätig ge­we­sen wa­ren, das maß­geb­lich an der Or­ga­ni­sation des Ho­lo­caust beteiligt war.

Es kommt zu Durch­su­chun­gen, Ver­hören, Fest­nah­men, eine ein­deu­ti­ge Identifizierung der Tä­ter misslingt jedoch. Sietz for­mu­liert die These, dass es so­wohl im Interesse Ade­nau­ers als auch Da­vid Ben-Gurions (der da­ma­li­ge Pre­mier­mi­nister Is­raels) ge­we­sen sei, weitere Nach­for­schun­gen zu un­ter­las­sen, um die Beziehungen zwi­schen beiden Ländern nicht weiter zu be­las­ten. 1978 wur­den die Er­mitt­lun­gen er­geb­nis­los ein­ge­stellt.

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1. Nach der Gründung Israels gin­gen diese Or­ga­ni­sationen (Ha­ga­nah, Ir­gun, Lechi) in der is­rae­lischen Armee auf.

2. DP= Displaced Persons

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31. Oktober 2022

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