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Das 19. Jahrhundert erlebte eine Renaissance mystischer Erscheinungen wie Visionen, Ekstasen, Wunderheilungen und Menschen, an denen sich die Wundmale Christi als Stigmata zeigten. Vor allem waren Frauen betroffen und unter ihnen häufig Nonnen. Bekannt geworden ist Katharina Emmerick (1774 – 1824), deren Visionen der Schriftsteller Clemens Brentano aufzeichnete und verbreitete. In Italien gab es – unter anderen – Maria Agnese Firrao, die Äbtissin des von ihr gegründeten Konvents im Kloster Sant'Ambrogio in Rom. Von ihren Mitschwestern und einem Teil des Klerus wurde sie als lebende Heilige verehrt. Die römische Kurie sah das anders, verbannte Maria Agnese in ein entferntes Kloster und untersagte ihr jeden Kontakt zu ihren ehemaligen Mitschwestern. Wie sich später herausstellte ohne jeden Erfolg. In Sant'Ambrogio wurden weiter Reliquien Maria Agneses angebetet und sie selbst als Heilige angerufen. 13jährig trat Maria Luisa Ridolfi dem regulierten Dritten Orden des heiligen Franziskus bei und wurde Teil dieser Verehrung und des damit verbundenen Glaubens an die Visionen und Ekstasen der Maria Agnese, die sich später dann auch bei ihr selbst einstellen sollten. Und in noch größerem Ausmaß als zuvor. Briefe der Jungfrau Maria, die in einem Kästchen landeten, zu dem nur der Beichtvater der Nonnen Zugang hatte, förderten ihre Karriere zur Vikarin und Novizenmeisterin, machten sie weitgehend unabhängig von den klösterlichen Regularien, an denen sie sich nur mäßig beteiligte. Und erläuterten so manch ungewöhnliche Verhaltensweisen der jungen Nonne. Als dann noch Jesus höchstpersönlich an Maria Luisa schrieb, waren ihr keine Grenzen mehr gesetzt. Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen (1817 – 1893), deren beide Ehen schon nach wenigen Jahren mit dem Tod der Gatten endete, entwickelte den starken Wunsch, sich einer klösterlichen Gemeinschaft anzuschließen. Der Versuch, in der Gesellschaft vom Heiligen Herzen Jesu Fuß zu fassen, scheiterte, und sie zog nach Rom, wo ihr Erzbischof Karl August Graf von Reisach, ihr Beichtvater, zu einer Probezeit im Kloster Sant'Ambrogio della Massima verhalf. Katharinas Absicht war es, mit ihrem ererbten Vermögen selbst ein Kloster zu gründen, was auf das Interesse der Novizenmeisterin Maria Luisa traf, die sich schon als Äbtissin dieser Neugründung sah. Entsprechend umwarb sie Katharina. Doch es kam zum Konflikt als Maria Luisa Katharina einen Brief obszönen Inhalts zeigte, den sie von einem ihr nah stehenden Deutsch-Amerikaner erhalten hatte, der als besessen galt. Maria Luisa hatte eigenhändig Exorzismen an ihm durchgeführt, was nicht nur allen entsprechenden Regeln widersprach, sondern auch den Verdacht nährte, dass es eine unstatthafte Beziehung zwischen den beiden geben würde. Inzwischen waren Katharina auch weitere Merkwürdigkeiten im Kloster aufgefallen, die mit der Verehrung der als heilig betrachteten Maria Agnese im Zusammenhang standen sowie dem Verhältnis der Vikarin zu einigen jungen Novizinnen, die hin und wieder ihre Nächte in der Zelle der Maria Luisa verbrachten. Katharina wurde zur Bedrohung für die weitere Karriere Maria Luisas, und so kam es zu einigen Vergiftungen, die Katharina zwar nicht – wie erhofft – umbrachten, sie aber gesundheitlich stark in Mitleidenschaft zogen. Katharina wurde schließlich von ihrem Cousin, Erzbischof Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, gerettet und erhob auf Anraten ihres neuen Beichtvaters Anklage gegen Maria Luisa, die vor dem römischen Inquisitionstribunal verhandelt wurde. Zutage traten sexuelle Ausschweifungen, Unterschlagungen, vergiftete Nonnen, von denen einige zu Tode gekommen waren, Anmaßungen der Heiligkeit und Betrügereien der Maria Luisa, sowie eine Beteiligung der beiden jesuitischen Beichtväter, die zum Teil aus gutem Glauben, zum Teil aus Kalkül und des eigenen Vorteils wegen an den Machenschaften beteiligt waren oder zumindest von ihnen wussten und sie nicht unterbanden. Das Gleiche gilt auch für die Äbtissin des Klosters. Alle vier wurden zu unterschiedlich hohen Strafen Klosterhaft verurteilt, der weltlichen Justiz aber nicht ausgeliefert, die für Mord die Todesstrafe vorgesehen hatte. Mit der Zeit wurde die Länge der verhängten Strafen reduziert, Maria Luisa gelangte historischer Umstände wegen wieder auf freien Fuß, ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Einer der verurteilten Beichtväter – Giuseppe Peters – wurde, unter seinem bürgerlichen Namen – Joseph Kleutgen –, zu einem Berater der Kongregation, die die Unfehlbarkeit des Papstes beschloss, und nahm seine Lehrtätigkeit am Collegium Germanicum wieder auf. Katharina wurde später Stifterin und Mitbegründerin des Klosters Beuron. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat durch intensives Aktenstudium der Befragungen der beteiligten Personen, die Unterlagen sind erst seit 1998 zugänglich, sowie anderer Lebenszeugnisse die Geschichte und die Details dieses facettenreichen Skandals untersucht und das Ergebnis mit dieser Schrift vorgelegt. Das Resultat ist ein wissenschaftlichen Ansprüchen genügender Bericht, der auf jede Art sensationsheischender Darstellung verzichtet. ---------------------------- 31. Oktober 2023 → Religion |
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