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Der letzte Band der fünfbändigen „Autobiographie des Giuliano di Sansevero“ umfasst einen Zeitraum von zwölf Jahren – beginnend mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Giulianos Rückkehr aus der Gefangenschaft in seine Heimat, endend wenige Tage vor seinem Tod. Zunächst arbeitet Giuliano im Ministerium für Flüchtlingsangelegenheiten, wo er mit der Organisation der Unterbringung von Vertriebenen betraut ist. Nach der baldigen Auflösung des Ministeriums zieht er nach Neapel und beginnt dort als Journalist zu arbeiten. Nach dem Tod seines Onkels begibt er sich in das kleine Städtchen Guastella, wo er mit dem Schreiben seiner Memoiren beginnt. Die Reaktionen auf deren Veröffentlichung sind jedoch enttäuschend. In London lässt Giuliano nach der Tochter einer früheren Geliebten suchen – in dem Glauben, ihr Vater zu sein. Zwischen beiden entwickelt sich eine amouröse Spannung, der er – wie schon in einer früheren, ähnlichen Situation – entflieht. Schließlich zieht er sich in das abgelegene Dorf Kalonerò auf Sizilien zurück. Die Parallelen zum dritten Band (Das Haus der Häuser) sind unübersehbar: Auch hier tritt Giuliano als Wohltäter auf, auch hier begegnet ihm ein Mädchen, das ihn so sehr beeindruckt, dass er erneut um seine moralische Integrität bangt. Zugleich entwickelt sich eine ambivalente Beziehung zum Dorfpfarrer. Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung des Klosters, in dem seit Jahrzehnten fünf Nonnen leben, denen der Pfarrer täglich die Beichte abnimmt. Giuliano fühlt sich ausgelaugt und des Lebens müde. Die „Autobiographie des Giuliano di Sansevero“ endet auf geheimnisvolle und mehrdeutige Weise. Im Anhang erfahren wir vom Tod Giulianos und seines Bruders – mit ihnen stirbt die Familie di Sansevero nach 900 Jahren aus. Neben der Schilderung der Ereignisse von 1945 bis 1957 enthält der Band zahlreiche Rückblicke auf Personen und Stationen, die Giulianos Leben geprägt haben. Der Tonfall unterscheidet sich deutlich von dem der vorangegangenen vier Bände: melancholisch, resigniert, bisweilen überheblich. Es ist die Bilanz eines illusionslosen Lebens. Trotzdem ich den Eindruck hatte, dass der 5. Band gegenüber den vorherigen etwas abfällt, enthält er Passagen außerordentlicher Intensität und ist – nicht nur dadurch – so lesenswert wie die gesamte Pentalogie. „Aus der weiten Dunkelheit stieg jetzt ein heimliches Verdrängen auf, ein dumpfes Rollen, wie ein unterirdisches Gewässer, das den Boden zum Beben bringt. Hier und da zuckten Blitze auf, bläulich, violett, blassrötlich. Kurzes Knallen. Bengalische Feuer ließen für Sekunden kleine lebendige und sofort wieder verschwindende Gestalten auf Loggien erkennen. Drüben am Meer war der Nebel dichter geworden, und der weite Bogen des Golfs jenseits der kalten Hafenlaternen lag reglos da.“ S. 86 „Der Atem der Stadt war aufgestiegen wie ein glühender Hauch, das Keuchen nahm zu und breitete sich aus wie Lava, vom Horizont her bis zu diesem Herzen, das aufflackerte und verbrannt war. Lichtfunken wurden empor geschleudert und schossen durch entfernte Lufträume. Ohrenbetäubende Aufrisse von Helligkeiten brachen sie an der leidgeprüften Masse alter Gemäuer. Der Zerfall einer von Weisheit getränkten Erde, die ihren Schmerz als Schreie austropft.“ S. 89 → Andrea Giovene: Das Haus der Häuser → Andrea Giovene: Fremde Mächte 1. Juni 2025 |
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