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Predrag Matvejevic : Das andere Venedig Predrag Matvejević
Das andere Ve­ne­dig.
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer
Wieser Verlag 2007, 162 Seiten
ISBN 978-3-85129-653-2

"Das andere Ve­ne­dig" ist kein al­ter­na­ti­ver Rei­se­füh­rer, son­dern ei­ne Exkursion in die Mor­pho­lo­gie die­ser ver­sin­ken­den Stadt und ih­rer Lagune. Der Au­tor folgt den Ge­schich­ten, die die Ar­chäo­logie, die Ety­mo­lo­gie, die Zeichen an den Mauern und die Platten der We­ge ge­schrie­ben haben. Er spürt der Bo­ta­nik nach, der Mi­gra­tion von Flora und Fau­na, den Er­in­ne­run­gen noch le­ben­der Men­schen und ur­al­ter Kar­ten, den Legenden um Wirts­häu­ser, in denen keins der Getränke mehr an­ge­bo­ten wird, die über Jahr­hun­der­te den Bewohnern der Stadt und ih­ren Gäs­ten so köstlich ge­mun­det haben. Wie auch die vie­len Brot­sor­ten, für die die Stadt weit über ihre Grenzen hi­naus be­kannt ge­we­sen ist. In­seln, die fernab jeder tou­ris­ti­schen Rou­te Fried­höfe ver­ber­gen, deren Grabsteine längst über­wu­chert und ver­ges­sen sind, Gemäuer, in de­nen einst die geis­tig Ab­wei­chen­den oder an Lepra er­krank­ten der Öf­fent­lich­keit ent­zo­gen wur­den, wie die von Mau­ern um­schlos­se­nen Gär­ten, in denen Fremde nicht will­kom­men sind. Die wech­seln­den Winde, von de­nen je­der einen ganz be­son­de­ren Na­men in der Sprache der Ve­ne­zia­ner erhalten hat, all das will Mat­ve­je­vic vor dem Ver­ges­sen be­wah­ren, er er­schließt das We­sen die­ser Stadt über das Stu­dium ih­rer De­tails. Und er macht das auf li­te­ra­risch an­spre­chen­de Wei­se, die Lek­tü­re die­ses klei­nen Bu­ches ist ei­ne rei­ne Freu­de. Fast. Denn die vie­len Re­pro­duk­tio­nen his­to­ri­scher Stadt­an­sich­ten sind von ei­ner är­ger­li­chen Qua­li­tät.

Das Vorwort von Raffaele La Capria gibt Einblick in die Ar­beits­wei­se des Autors und lei­tet ge­schickt in den fol­gen­den Text über:

"Neapel wie auch Venedig ver­sicker­ten lang­sam und ver­schwan­den un­ter den Dar­stel­lun­gen, die über sie ver­fasst wur­den, die un­end­li­chen Be­schrei­bun­gen führten dazu, dass all das, was das Auge erst er­blicken soll­te, be­reits zum déjà vu ge­wor­den war; sie er­setz­ten viel­mehr das, was das Auge se­hen woll­te, sie brann­ten sich in die Re­ti­na ein und be­stimm­ten den Blick selbst, sodass heute die dar­gestellte Wirk­lich­keit, der All­ge­mein­platz dieser Wirk­lich­keit zum einzig be­such­ten Ort wur­de – und die Wirk­lich­keit wur­de über­flügelt von ihrer ei­ge­nen Dar­stel­lung." S. 5

11. Juli 2022

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