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Horst Karasek Das Haus an der Grenze Horst Karasek
Das Haus an der Gren­ze.
Eine Flucht­ge­schich­te.
Sammlung Luch­ter­hand 1987, 125 Sei­ten
ISBN 3-472-61690-3

In der autofiktionalen Er­zäh­lung "Das Haus an der Gren­ze" kau­fen zwei in Frankfurt le­ben­de Paare ein Haus an der Grenze zur DDR [1]. Kon­rad, der Erzähler, mit seiner Partnerin Maria, Jakob, der Bruder Kon­rads, und Jutta. Die De­mar­kations­linie ist in Sicht­weite, das Haus in einem be­jam­merns­wer­ten Zu­stand. Aber es ist preiswert, und man traut sich zu, das Meis­te in Ei­gen­ar­beit er­le­di­gen zu kön­nen. Zu Beginn hilft noch das junge Paar mit, dem das Haus gehört und dem die Kos­ten über den Kopf ge­wach­sen sind. Später helfen dann einige Bewohner aus dem Ort mit Traktor und Werk­zeug. Zwischen Ein­hei­mi­schen und den Zu­ge­zo­ge­nen besteht ein ambivalentes Ver­hältnis von Neugierde und Misstrauen.

Man pflanzt Blumen und Ge­mü­se an, Konrad schafft sich einen Raum, in dem er schrei­ben kann. Sein Ziel ist die Er­stel­lung einer Chronik des Or­tes [2], zu der es nie kom­men wird. Außenseiter des Ortes und der Umgebung su­chen Kontakt, die Un­ver­ein­bar­keit der Welten, in denen die Menschen aus Großstadt und Land leben, wird augen­fällig.

Als aus dem Museum, das aus­schließlich der Gren­ze zur DDR gewidmet ist, eine Ma­schi­nen­pistole verschwindet, kommt es zur ersten Haus­durch­suchung und manche se­hen sich in ihrem Verdacht be­stä­tigt, dass es sich bei den Langhaarigen aus Frankfurt nur um Ter­ro­ris­ten oder deren Helfer handeln kann.

Der Bundesgrenzschutz be­ob­ach­tet die Be­woh­ner des Hau­ses und ihre Gäste, im­mer wie­der stehen un­be­kann­te PKWs in der Nähe, in de­nen offen­sichtlich Zi­vil­po­li­zisten das Ge­sche­hen do­ku­men­tie­ren. Man­che Ein­hei­mi­sche würden die Zu­ge­zo­ge­nen am liebsten ins Minenfeld zwischen den beiden deut­schen Staaten jagen.

Maria, die Malerin, arbeitet an einer Art Kreuz­weg, der die Si­tua­tion der Menschen in die­ser Grenzregion darstellen soll. Als eine Galerie in einer nahe gelegenen Provinzstadt die Arbeiten ausstellt, er­scheint in der Lokalzeitung ein Ar­ti­kel, in dem die Ar­bei­ten als Dis­kri­mi­nie­rung und Ver­ächt­lich­ma­chung der ört­li­chen Be­völ­ke­rung dargestellt werden. Die Stimmung kippt, Konrad und seine Mit­be­woh­ner be­fürch­ten Übergriffe und ver­las­sen das Haus.

Sieben Jahre später, an­läss­lich eines Dorffestes, besucht Kon­rad den Ort erneut. Man gibt sich entspannt, es hätte wohl damals einige Miss­ver­ständ­nisse gegeben, Schwamm drü­ber. Am Abend läuft Konrad zu dem immer noch leer ste­hen­den Haus und steckt es an, bis es lichterloh brennt: "Der Himmel ist glutrot. Da wird wohl das ganze Dorf brennen, denke ich, und gehe weiter."

Der Text ist in Teilen in einer Art Reportagestil ge­schrie­ben, der Rückzug aus der Stadt, in der sich Konrad und seine Freunde in der politisch auf­ge­heiz­ten Stimmung der frühen 70er Jahre zu­neh­mend bedroht fühlen, misslingt, sie kom­men vom Regen in die Traufe. Das Nie­mands­land zwischen den beiden Staaten, an dem sie häufig spazieren gehen, ist ein Sehnsuchtsort. Unerreichbar.

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1. Horst Karasek und Helga M. Novak lebten in den Jahren 1974 bis 1977 in einem Haus in Breitensee, einem Ort direkt an der Grenze zur DDR, der noch keine 300 Einwohner zählte.

2. Später wird Horst Karasek eine solche Chronik über "Das Dorf im Flörsheimer Wald" schreiben, um den Widerstand gegen die Start­bahn West zu do­ku­men­tie­ren.

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12. Dezember 2022

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